MERKUR

Heft 01 / Januar 2010

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John R. Searle

Die Angst vor Wissen und Wahrheit . Über Relativismus und Konstruktivismus

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Zitate:

Welche Motive haben die Vertreter des Sozialkonstruktivismus? Wir zahlen schließlich einen sehr hohen intellektuellen Preis, wenn wir die objektive Geltung der letzten dreieinhalb Jahrhunderte wissenschaftlicher Forschung leugnen. Boghossian meint, dass der Konstruktivismus zum Teil durch verstandesmäßige Argumente motiviert ist und zum Teil durch politische Korrektheit. Im postkolonialen Zeitalter glauben manche, dass wir anderen Kulturen nicht unser Realitätskonzept oktroyieren sollten. Warum sollten wir in einer multikulturellen Demokratie nicht jeder Kultur, ja jedem Menschen seine eigene Realität zugestehen? Ich meine vielmehr, dass die antirationale, antiwissenschaftliche Tendenz der gegenwärtigen Versionen des Relativismus und Konstruktivismus durch eine viel tiefer verwurzelte metaphysische Weltsicht motiviert ist als durch eine auf postkolonialer politischer Korrektheit basierende. Wie sieht diese Weltsicht genau aus? Hinweise darauf finden sich in der zitierten Passage über feministische Erkenntnistheorie von Kathleen Lennon. Dieser Weltsicht zufolge sind all unsere Wissensansprüche aufgrund ihrer gesellschaftlichen und historischen Situiertheit wesentlich kontingent. Dieser Weltsicht zufolge denken wir alle im Rahmen partikularer Voraussetzungen und stellen die Welt immer von einem bestimmten Blickpunkt aus dar, und das macht jede objektive Wahrheit unmöglich. Für jemanden, der dieses Argument akzeptiert, scheint der Gedanke, dass es wissenschaftliche Aussagen gibt, die objektiv, universell und zweifelsfrei hinreichend begründet sind, nicht nur falsch, sondern geradezu repressiv. Und für solche Menschen muss schon der Gedanke einer objektiv existierenden unabhängigen Realität in Misskredit gebracht werden. Dieser Ansicht zufolge müssen wir, wenn wir wahrhaft frei sein wollen – nämlich frei, eine multikulturelle Demokratie zu schaffen –, uns vor allem von "Objektivität", "Rationalität" und "Wissenschaft" befreien. Kurzum, die Motivation reicht tiefer, als Boghossian einzuräumen bereit ist, und sie weist interessante Ähnlichkeiten mit früheren Formen der gegenaufklärerischen Romantik auf, wie sie Isaiah Berlin in Die Wurzeln der Romantik beschrieben hat.

MERKUR Jahrgang 64, Heft 728, Heft 01, Januar 2010
broschiert
ISSN: 0026-0096

Autoren in dieser Ausgabe

John R. Searle, Volker Gerhardt, Michael Esders, Gunter Schäble, Wolfgang Ullrich, Karen Horn, Cord Riechelmann, Wolfram Hogrebe, Peter Ulrich, Jakob Hessing, Carlos Widmann, Thomas Frahm, Christian Engelbrecht,


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