MERKUR

Heft 01 / Januar 2010

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Michael Esders

Storytelling . Über die Enteignung des Erzählens

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Zitate:

Nach der Erfindung der Schrift und später des Buchdrucks hat das mündliche Erzählen seine Bedeutung als Garant des kulturellen Gedächtnisses weitgehend verloren. Gleichzeitig ist die Verschriftlichung die Grundlage für die im engeren Sinn literarischen Gattungen und Formen des Erzählens. Mit dem Aufkommen der elektronischen Medien hat sich das Erzählen zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder von der Schrift emanzipiert und zugleich inflationär verbreitet. Fortwährend erzählt wird auch und gerade dort, wo Bilder das Wort ersetzten: im Kino, im Fernsehen, in der Werbung, im Internet. Die Kultur- und Bewusstseinsindustrie ist eine Geschichtenindustrie. Dabei ist Hollywood schon fast ein Dinosaurier, auch wenn die globale Konjunktur des Erzählkinos in Hollywoodmanier anhält. Im Fernsehen ist der Boom der Daily Soaps und Telenovelas ungebrochen. Die Serien werden in industrieller Massenproduktion hergestellt, und ihre Fertigung ist ein hochgradig spezialisierter, strikt arbeitsteilig organisierter Betrieb. Der Output der Serienproduktion wird bezeichnenderweise vorrangig quantitativ erfasst und bilanziert, etwa auf der Homepage der Grundy UFA Produktions GmbH. 75000 Minuten fiktionales Programmproduziert die UFA-Tochter jährlich. Damit ist die Produktionsfirma nach eigenen Angaben europäischer Marktführer im Bereich der Daily Soaps und Telenovelas. Im Mai 2005 machte Grundy UFA von sich reden, als sie die erste Serienschule für angehende Storyliner ins Leben rief. Der Storyliner entwirft und formuliert die Handlungsstränge der Täglichserien und nimmt damit eine Schlüsselrolle im Betrieb ein. Routiniert hantiert er mit Identitätsschablonen und kolportagehaften Fertigbauteilen, erzeugt dramaturgische Konflikte mit beinahe geometrischer Exaktheit und passt sie in das von den Werbepausen vorgegebene Zeitkorsett ein. Der Plottechniker erschafft seine Charaktere unter Laborbedingungen im Reagenzglas: Ausgeburten der Marktforschung, Homunkuli mit genau berechnetem Identifikationsangebot und optimierter Projektionsfläche, Helden mit den Bindungs- und Abstoßungseigenschaften chemischer Elemente.

MERKUR Jahrgang 64, Heft 728, Heft 01, Januar 2010
broschiert
ISSN: 0026-0096

Autoren in dieser Ausgabe

John R. Searle, Volker Gerhardt, Michael Esders, Gunter Schäble, Wolfgang Ullrich, Karen Horn, Cord Riechelmann, Wolfram Hogrebe, Peter Ulrich, Jakob Hessing, Carlos Widmann, Thomas Frahm, Christian Engelbrecht,


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