MERKUR

Heft 01 / Januar 2010

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Carlos Widmann

Der Club des toten Dichters . Ezra Pound und die Wiederbelebung des Sozialfaschismus in Italien

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Zitate:

In New York gibt es ein Goethe House, in Boston eine Dante Alighieri Society – warum sollte es in Rom keine Casa Pound geben? Amerikas bedeutendster Dichter seit Walt Whitman ist eine Schlüsselfigur der Weltliteratur. Überdies erscheint Ezra Pounds Lebenslauf eng mit der italienischen Geschichte des vergangenen Jahrhunderts verflochten. Und siehe da: Selbstverständlich gibt es in Rom eine Casa Pound. Sechs Stockwerke ist sie hoch, und auch in Mailand und Neapel und einem Dutzend weiterer Städte ist diese Bildungseinrichtung vertreten. Es wäre indessen naiv, hierin eine noch nie dagewesene Blüte amerikanischer Kulturinstitute in Italien zu vermuten. Die Wachtposten der römischen Casa Pound sind, soweit erkennbar, unbewaffnet. In dem geräumigen Gebäude nahe der Stazione Termini aber fehlt es an Sicherheitsvorkehrungen nicht: Unlängst ist die Casa-Pound-Filiale im roten Bologna durch eine Brandbombe der dortigen Antifa arg beschädigt worden. Das Hauptquartier in Rom jedoch – 8, Via Napoleone III – wirkt als feste Burg, in der sich Jugendzentrum, Kulturinstitut und Kaderschmiede sicher fühlen. Millionen hat das nicht gekostet: Es handelt sich um eine Hausbesetzung, wenn auch nicht um eine linke. Von den Bürgermeistern der Hauptstadt Italiens wird die Gebäude-Usurpierung seit sechs Jahren geduldet, vom Postkommunisten Walter Veltroni ebenso wie vom Postfaschisten Gianni Alemanno. Eine Zwangsräumung wäre auch problematisch. Die Neofaschisten um den Altrocker Gianluca Iannone (ein Vollbart mit Naturglatze à la Horst Mahler) wollen im Volk schwimmen wie der Fisch im Wasser und haben sich mit Volk gewappnet. An die dreißig obdachlose Familien sind in der Casa Pound kostenlos einquartiert – italienische Familien, versteht sich. Sie wirken in diesem Viertel als ethnische Minderheit: Esquilino, bunt, verkommen und lebensprall, ist das römische Asiatown. Auf der Piazza Vittorio, wo jedes Jahr ein großes Multikultifest gefeiert wird, prangen die Plakate der Jungfaschisten. Unter dem Bild eines Indianerhäuptlings steht zu lesen: "Sie haben die Immigration erlitten. Heute leben sie in Reservaten." Dennoch kommt es hier zu keinen Zusammenstößen mit Einwanderern. Die Ost- und Südostasiaten haben einen unauffälligeren Lebensstil als rumänische Zigeuner, und die Faschos mit ihrer Buchhandlung und ihrer ruhigen Kneipe wollen sich als Zivilisationsträger und Ordnungsfaktor ausweisen. Nur, was hat all das mit Ezra Pound zu tun? Vom Namenspatron ist wenig zu sehen außer seinem Don-Quijote-Halbprofil und dem Spruch: "Ist ein Mann nicht bereit, etwas für seine Meinung zu riskieren, so ist entweder die Meinung nichts wert oder der Mann." Pound, der 1945 für seine politischen Ansichten vier Wochen in einen grell beleuchteten Maschendrahtkäfig gesperrt wurde und dann für zwölf Jahre ins Irrenhaus kam, ist solche Schroffheit kaum zu verdenken. Was aber prädestiniert den Autor der bildungslastigen Cantos, die für die mehr auf Körpersprache trainierten Jünger der Casa Pound völlig undurchdringlich sind, zu deren Aushängeschild?

MERKUR Jahrgang 64, Heft 728, Heft 01, Januar 2010
broschiert
ISSN: 0026-0096

Autoren in dieser Ausgabe

John R. Searle, Volker Gerhardt, Michael Esders, Gunter Schäble, Wolfgang Ullrich, Karen Horn, Cord Riechelmann, Wolfram Hogrebe, Peter Ulrich, Jakob Hessing, Carlos Widmann, Thomas Frahm, Christian Engelbrecht,


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