MERKUR

Heft 01 / Januar 2011

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Gerd Roellecke

Ethik in einer Gesellschaft der Gleichen

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Zitate:

Ethik und Moral werden oft gleichsinnig gebraucht. Sie sind es aber nicht. Wir lassen zu, dass unseren Kindern in der Schule "Ethikunterricht" erteilt wird, gegen "Moralunterricht" würden wir uns heftig wehren. Grund: Moral betrifft die Anerkennung der einzelnen Person, und daran darf die Schule nicht rühren. Ethik dagegen ist eine Reflexionstheorie, eine Lehre der Moral. Sie verhält sich zur Moral wie Theologie zur Religion. Deshalb können wir ihre Vermittlung zu den Aufgaben der Schule rechnen. Moral ist notwendig, damit man ungefähr weiß, was man im Verkehr mit anderen Menschen diesseits von Gesetz und Recht zu tun und zu lassen hat. Daraus hat man vielfach geschlossen, Moral schaffe Frieden. Sie schafft aber eher Konflikte. Denn sie hält eine empfindliche Sanktion bereit: Missachtung. Von den Folgen her gesehen ist Moral die Summe der Regeln, nach denen wir Achtung oder Missachtung an unsere Mitmenschen verteilen, und Achtung oder Missachtung berühren das Selbstwertgefühl, genauer: das Gefühl der Zugehörigkeit zur Gesellschaft. Darauf reagiert jeder Mensch empfindlich. Achtung beruhigt, aber gegen Missachtung muss man sich wehren. Deshalb ist Moral polemogen, streitträchtig. Wenn man sich auf Ethik, also auf eine Reflexion der Moral beschränkt, braucht man indessen nichts zu entscheiden und vermeidet Streit. Wer über Ethik redet, braucht über Moral nicht mehr zu sprechen. Allerdings kann man auch nicht mehr sagen, wer oder was im konkreten Fall Achtung oder Missachtung verdient. Andererseits setzt eine theoretische Reflexion als Gegenstand eine Moral voraus, also Regeln der Achtung oder Missachtung. Diese Regeln müssen sich für eine Reflexion eignen, sie müssen vergleichbar und wiederholbar, in der Regel also vertextet, schriftlich festgehalten sein. Vertextung muss jedoch die konkreten Umstände moralischen Handelns vielfach ausblenden und erfasst nicht alle Fälle moralischer Verpflichtung. Ob und wie Vorleistungen zur Dankbarkeit verpflichten, kann man nicht aufschreiben, weil das Aufschreiben Vorleistungen unmöglich machte. Trotzdem ist die Ethik auf vertextete Moralen angewiesen. Nur kann man gerade wegen der Vertextung nicht wissen, wie genau Ethik die Moral spiegelt. An vertexteten Moralen ist kein Mangel. Die Philosophie liefert sie seit dem Altertum, und natürlich die Religion. Aber die Religion blenden wir einfach aus. Da es uns nicht um die "wahre Ethik überhaupt", sondern nur um "Ethik heute" geht, brauchen wir nicht die Rolle der Moral in der abendländischen Philosophiegeschichte zu verfolgen, sondern lediglich zu fragen: Welche Philosophie liefert heute der Ethik die Vorlage? Die meisten Moralphilosophen antworten: die praktische Philosophie Kants. Uns geht es jedoch weniger um deren tausendste Rekonstruktion, sondern darum, dass man nach den Regeln der wissenschaftlichen Diskussion eigentlich nur noch in philosophiegeschichtlicher Perspektive darüber reden dürfte. Hegel hat die praktische Philosophie Kants vernichtend kritisiert. Er war nicht der einzige, aber der bedeutendste Kritiker. Sollte Hegel recht haben, müssen wir Ethik neu denken.

MERKUR Jahrgang 65, Heft 740, Heft 01, Januar 2011
broschiert
ISSN: 0026-0096

Autoren in dieser Ausgabe

Yoram Hazony, Paul Michael Lützeler, Henning Ritter, Friedrich Pohlmann, Wolfgang Ullrich, Christian Demand, Ingo Way, Gerd Roellecke, Lars Bullmann, Rolf Breuer,


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