MERKUR

Heft 01 / Januar 2011

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Rolf Breuer

Wem gehört Samuel Beckett oder . Wie postmodern ist die Moderne?

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Zitate:

Schon Ibsens Peer Gynt überlegt, ob seine Person nicht einer Zwiebel gleiche, von der man Schale um Schale entfernen könne, bis nichts mehr übrigbleibe. Und Oscar Wildes The Importance of Being Earnest findet bereits die geniale literarische Umsetzung des Gedankens, dass es zwischen Maske und Gesicht keinen Unterschied gebe, sondern dass unter der Maske eine weitere Maske stecke und immer so weiter, "all the way down". Flann O´ Brien mit seinen Romanen At Swim-Two-Birds und The Third Policeman vom Ende der dreißiger Jahre könnte genannt werden. Was Frankreich angeht, so muss man an Sartre denken, der in L´Être et le néant eine relationistische Sicht der menschlichen Person entwarf (und in seinen Romanen und Theaterstücken popularisierte): Ich bin derjenige, als den mich der andere sieht. Auch Becketts schon erwähnte Tätigkeit als Regisseur ist in diesem Zusammenhang aufschlussreich. Das Pendant auf dem Theater zu literarischer Intertextualität, Einbeziehung des Rezipienten in den Text sowie Auflösung der Werksubstanz ist das Regietheater, also die Dominanz des Regisseurs gegenüber dem Autor. Hier steht Beckett ganz eindeutig auf Seiten des Autorentheaters früherer Zeiten, denn erstens hat er selbst äußerst werktreu gearbeitet und zweitens anderen Regisseuren untersagt, seine Werke dramaturgisch zu modernisieren, in unseren Zusammenhang: zu postmodernisieren. Was die Tendenz zur Reduktion, zur Konzentration im Oeuvre Becketts angeht, so existieren Parallelen zu Minimal Art und Minimal Music, amerikanischen Richtungen der Kunst und der Musik seit den sechziger Jahren, aber ob man sie zur Postmoderne zählen kann oder sollte, ist nicht klar. Auch ein Blick auf Becketts Kunstgeschmack ergibt kein postmodernes Bild. In Philosophie, Theologie und Literatur fühlte er sich der Tradition europäischer Hochkultur verbunden; Haydn und Schubert waren seine Lieblingskomponisten. Und trotz der Liebe zum Film, zu Komikern wie Buster Keaton oder Charlie Chaplin, spielen Popkultur und Popmusik keine Rolle für Beckett. Aus literaturwissenschaftlicher Sicht scheint also folgendes Fazit korrekt: Man könnte Beckett mit dem Untertitel von Anthony Cronins Biographie "the last modernist" nennen, wohl auch den "Vater der Postmodernen", denn sein Einfluss auf das zeitgenössische britische Theater ist enorm. Ihm fehlt jedoch die spielerische Note im Umgang mit den genannten Positionen; bei ihm geht es um sehr ernste Dinge. Nicht umsonst verstand man ihn anfangs − bei allem schwarzen Humor − als Existentialisten, Pessimisten und Nihilisten, der die Welt als "mess" darstellte und den Menschen als scheiternden Sucher. Letztlich muss man konstatieren, dass Beckett in seinen Werken ja gerade die erkenntnistheoretische Unmöglichkeit solipsistischer philosophischer Positionen darstellt und den Narzissmus des vereinzelten Menschen als autistische Fehlentwicklung: Nicht nur seine Protagonisten scheitern auf ihrer Suche nach Sinn, auch die Werke sind vom Autor angelegt als scheiternd im Versuch der Darstellung dieses Scheiterns. Das ist eine Verschärfung des Programms der Moderne, aber kein neues Programm.

MERKUR Jahrgang 65, Heft 740, Heft 01, Januar 2011
broschiert
ISSN: 0026-0096

Autoren in dieser Ausgabe

Yoram Hazony, Paul Michael Lützeler, Henning Ritter, Friedrich Pohlmann, Wolfgang Ullrich, Christian Demand, Ingo Way, Gerd Roellecke, Lars Bullmann, Rolf Breuer,


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