Zitate aus dem Februarheft, Nr. 777
Der Verfassungsschutz agiert seit seinem Bestehen als opportunistischer Dienstleister; er wird nicht davor zurückschrecken, notfalls auf dem linken Auge blind zu werden. Es kommt vielmehr darauf an, eine Streitkultur zu etablieren, die ein robustes Konfliktmodell belebt: Integration im Dissens. Andernfalls bleibt – um ein Wort von Jean Améry zu variieren – jedermann irgendeines anderen Verfassungsfeind.
Horst Meier, Wozu eigentlich noch Verfassungsschutz?
»Literatur und Wissen« weist zum einen auf Transfers zwischen Literatur und Diskursen des Wissens hin, die auf der Ebene der Repräsentation verlaufen. Und dann bedeutet es zweitens auch, dass Literatur ihrerseits, in ihrem Verschiedensein oder ihrem radikalen Anderssein, einen Platz hat oder ein Symptom ist im Gefüge des Wissens einer bestimmten epistemischen Ordnung und in der Zeit ihrer Geltung.
Rüdiger Campe, Das Argument der Form in Schlegels »Gespräch über die Poesie«
Zeitgeschichte schreiben heißt in der Gegenwart daher auch, dass die Grenzen zwischen Faktizität und Fiktionalität auf neue Proben gestellt werden. Es verändert das Bild der Zeitgeschichte, wenn das historische Ereignisfernsehen mit seinen »Doku-Dramen«, »Doku-Fiktionen« und »Re-Enactments« die mediale Präsentation von Zeitgeschichte prägt und nicht nur den Mangel an mediengerechten Sachzeugnissen ausgleicht, sondern den Übergang zwischen Original und Mimesis ästhetisch inszeniert, wie es etwa der ZDF-Dreiteiler Die Wölfe im Wechsel von monochromen und polychromen Szenen tat.
Martin Sabrow, Zeitgeschichte schreiben in der Gegenwart
Der Dialog ist bei Platon nicht beliebige, austauschbare literarische Einkleidung von Gedanken, sondern selber Gedanke. Wenn es wahr ist, dass in der Philosophie die Form immer Gedanke ist, so gilt dies in höchstem Maße für Platons Philosophie. Damit ging Blumenberg unsicher um. Er schloss sich der fatalen Aufteilung Platons in den Dichter und den Philosophen an und spielte jenen gegen diesen aus: Platon gehöre der Weltliteratur viel mehr als der philosophischen Literatur an, sagte er in der erwähnten Vorlesung »Das Höhlengleichnis als philosophisches Modell«; mit dem Philosophen Platon sei es »gar nicht so doll« gewesen.
Heinrich Niehues-Pröbsting, Die Höhle und ihre Schatten
Bei der ganzen Debatte um Ehe und Familie geht es um mehr als die Gleichstellung von Lesben und Schwulen. Immer wird das Geschlechterverhältnis mitverhandelt. Die Verteidigung des traditionellen Familienbildes meint die Ehe als patriarchale Institution. In Zeiten der Gleichberechtigung ist dies vielleicht nicht mehr die Vorstellung vom Mann als »Oberhaupt der Familie«. Doch wirkmächtig ist das spezifisch deutsche Mütterlichkeitsideal: Bleibt Mutti nicht zuhause, leidet das Kind. Unsere europäischen Nachbarn teilen diese Einstellung nicht. »Rabenmütter« gibt es nur in Deutschland.
Ute Sacksofsky, Rechtskolumne. Das Märchen vom Untergang der Familie
Auf der Suche nach den Gründen für die fatale Zweiteilung des Währungsgebiets ist nun jedoch ein Großteil der öffentlichen Debatte weiterhin eher von wechselseitigen Ressentiments geprägt à la es gebe halt in den südlichen Ländern »höhere Präferenzen für Freizeit« (Bernd Lucke) oder »Wer Lust am Leben hat, will kein Deutscher sein« (Jean-Luc Mélenchon). Das zieht die Debatte auf das Niveau der schlichtesten Völkerpsychologie, die man eigentlich für überwunden gehalten hatte.
Philip Manow, Politikkolumne. Rentabilität im Süden
Doch Schwarz stellt auch fest, dass Kohl »nach der Kanzlerwahl am 17. Januar erneut bombenfest im Sattel sitzt« (S. 638) und bald darauf Wolfgang Schäuble als möglichen Nachfolger ins Gespräch bringt. »Der Vorgang ist in vielerlei Hinsicht kennzeichnend. Er zeigt, wie fest Kohl damals im Sattel sitzt« (S. 666). »Oder sitzt Kohl inzwischen so fest im Sattel, daß er es sich leis ten kann, seine Minister umfallen zu lassen oder aufzustellen wie Kegel?« (S. 720). »Doch er hat wieder einmal Glück und wird bereits im ersten Wahlgang gewählt, allerdings nur mit einer Stimme Mehrheit wie Adenauer im Frühherbst 1949. Erst jetzt kann er sich beruhigt zurücklehnen. Er sitzt wieder fest im Sattel« (S. 760).
Gerhard Henschel, Bombenfest im Sattel
Taubes´ überbordende Kritik und Polemik bedrohten ihrer Intention nach immer auch jenen akademisch zivilisierten Frieden, an dem Blumenberg gerade in Hinblick auf die Verarbeitung des Erlebten gelegen war, was sich auch daran zeigt, dass Taubes zeitlebens die Nähe jener revoltierenden Studenten suchte, denen Blumenberg durchaus reserviert begegnete. So gesehen verweist die Charakteristik der beiden Philosophen, wie sie sich aus dem Briefwechsel scheinbar zwanglos ergibt, nicht allein auf unterschiedliche Wissenschaftsstile, sondern auch auf die Frage, wie Wissenschaft für Juden nach deren Exkommunizierung aus den deutschen Geisteswissenschaften wieder möglich wäre.
Christian Voller, Die Kunst des Defensivspiels
Unter den Bedingungen totaler Herrschaft, gleich welcher Couleur, sind die Möglichkeiten politischen Handelns grundsätzlich verbaut. Deswegen kann das persönliche Verhalten nur noch nach den Vorgaben der Moral ausgerichtet und beurteilt werden. Allen Ernstes wird in der gegenwärtigen Debatte aber die Meinung vertreten, dass man nicht »aufgrund heutiger moralischer Maßstäbe« das Handeln von Personen in früherer Zeit und namentlich in der Nazizeit beurteilen kann. Danach ist es dann offenbar so, dass moralische Maßstäbe in der Zeit vor dem »Tausendjährigen Reich« galten und dann nach 1945 auch wieder – keineswegs aber in den zwölf Jahren des »Dritten Reiches«.
Helmut König, Die Eschenburg-Debatte
In dieser Stadt ist notorisch November, doch zu den üblichen Tageszeiten rauscht zumindest eine schale Dämmerung eilig vorbei. Vom Alex ist es nicht weit in den Prenzlauer Berg. Das Café ist voll. Jeder sitzt an seinem Tisch allein, hält sich an seinen Kaffee, so früh wagt niemand zu frühstücken. Kommt einer durch die Tür, fließt die Kälte am Boden herein, schwappt bis hoch zu den Knien, doch schnell sinkt ihr Spiegel, sie versickert im warmen Parkett. Es ist dunkel aus Birnen, nicht klar, sondern matt, ein toter Tag, wie sie in Massen im langen November begraben sind. Es riecht nach Kleidern, die vom Rauchen schwer sind, nach trockenem Schweiß, nach abgestandener Feuchte im Mund.
Leander Steinkopf, Wie Rotwein verschüttet
Was dem zeitgenössischen Leser des Merkur , obwohl er selbst seine ersten Erfahrungen mit der Sowjetischen Besatzungszone gemacht hatte, interessanterweise nicht auffiel: Die Teilung Deutschlands ist zwar ein Topos vieler Beiträge, aber der Osten ist im »europäischen Gespräch« für lange Zeit kein Thema. Immerhin berichtet Christian E. Lewalter aus allen vier Sektoren Berlins und räsoniert gelegentlich über den Marxismus, und immerhin kommt Margret Boveri (im Augustheft 1950) auf die Gegangenen und Gebliebenen in der »Ostzone« zu sprechen, wenn auch durch einen schiefen Vergleich mit 1933. Ansonsten ist Zürich der Redaktion offenbar näher als Berlin.
Hans Altenhein, Nachkriegslektüre
Aufs Ganze gesehen ist die vermeintlich selbstverständliche Beschreibung [Deutschlands] als ressourcenarmes Land ein durch Fakten kaum gedeckter Mythos. Dieser Mythos hat seine Wurzeln in den Dekaden nach 1918. Zwar wurde der verlorene Weltkrieg damals auch mit der Dolchstoßlegende erklärt. Ebenso wirkungsmächtig waren aber Erklärungen, die auf die von der Entente bewirkte Absperrung von zentralen Rohstoffen, insbesondere vom Erdöl hinwiesen.
Jens Soentgen, Volk ohne Stoff. Vom Mythos der Ressourcenknappheit
Die Sonne hat alle Farben in dieser Landschaft bleich gestrahlt, einstmals buntes Plastik ist nur noch milchig und bricht, das Grün aller Pflanzen bedeckt von Staub. Nur die Schilfbüschel glänzen, und auf einem der Halme sitzt ein schwarzgelber Punkt, wiegt mit im Wind. Der Punkt äußert ein kurzes schrilles Geräusch, das wie die Fehlermeldung einer japanischen Armbanduhr klingt. Plötzlich schwillt er auf dreifache Größe an, löst sich vom Halm und rast im Zickzackkurs über das Feld, kehrt zum Ursprungsort zurück und beruhigt sich wieder. Ist es ein Insekt?
Günter Hack, Der gelbe Bischof
Überhaupt gefällt mir das nicht dem Schönheitsklischee entsprechende, zum Abgeranzten neigende Paris immer besser, man muss nur etwas länger danach suchen. Und selbst in den Tuilerien sind Abranzungstendenzen auf den zweiten Blick erkennbar. Nämlich in Form öffentlicher Mülleimer, absolut ungestaltete, grün lackierte Müllsackgestänge, die aus einem Metallring mit darüber gestülpter, halbtransparenter Mülltüte und einem seitlich angeschweißten Metallfuß bestehen.
Stephan Herczeg, Journal (XI)
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