MERKUR

Heft 05 / Mai 2010

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Alfred Gulden

Nitsch proben . Meine Erinnerungen ans Orgien-Mysterien-Theater

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Zitate:

Schier erschlagen von der gewaltigen Menge an Aktionsrelikten von Hermann Nitschs 6-Tage-Spiel seines Orgien-Mysterien-Theaters, die in der ehemaligen Klosterkirche in Budapest ausgestellt sind – Tragbahren in allen Formen und Größen, Tröge, Tische, Kreuze, blutige Tücher und Gewänder, Schüttbilder, Hunderte von farbigen Großfotos, Filme auf Großleinwand, auf Monitoren, dem durchdringenden Klanggemisch aus Streichorchester, Blaskapellen, Chören, Glocken, Gongs und Synthesizer −, stehe ich plötzlich vor der blumengeschmückten Stiertrage, und es ist nichts mehr, wie es hier ist, es ist alles, wie es war: 1998. Prinzendorf. Ein heißer Julitag. Im großen Innenhof des Schlosses sind wir mitten in der Arbeit an einer Aktionssequenz, "stellen ein Bild". Das Schlosstor wird geöffnet. Ein Lastwagen, mit Holzteilen beladen, fährt in die Hofmitte. Wir unterbrechen, umstehen den Lastwagen. Endlich. So lange erwartet. Die Bauteile für die Stiertrage. Das Herzstück. Drei Männer, Schreiner, die mitgekommen sind, setzen den Tag über die Teile zusammen: massive Holzbalken, auf die eine große Plattform aus Brettern montiert ist. Auf dieser Holzfläche ist eine Rahmenkonstruktion befestigt, an deren Querbalken der Stier aufgehängt werden soll. Gegen Abend ist die Stiertrage montiert. Sie ist exakt dem Modell nachgebaut, dessen Zeichnung wir seit Tagen vor Augen haben. Dabei immer die Frage, ob und wie wir dieses Gerät, vor allem mit dem Stier darauf, tragen können. Kurze Frage an die Schreiner. "Klar. Versuchen Sie es!" Ich rufe die Akteure zusammen. Wir sind ungefähr vierzig. Wir heben die Stiertrage an. Schwer zu greifen, zu heben. Aber es gelingt. Wir gehen mit der Stiertrage durch den Schlosshof. Zuerst vorsichtig, dann immer selbstverständlicher. Auf mein Kommando heben wir sie auf Schulterhöhe, setzen sie auf Kommando wieder vorsichtig ab. Klatschen. Sind glücklich. Später bringen die Schreiner an den Seiten der Trägerbalken Griffe an. Und wir versuchen es wieder. Diesmal mit dem ungefähren Gewicht des Stieres, circa siebenhundert Kilo, also zehn Akteuren, auf der Tragefläche. Nach einigen Hebeversuchen, wichtig wird das gemeinsame Anheben und Absetzen auf Kommando, gelingt auch das. Eine kleine Runde im Innenhof. Dann feiern wir das Gelingen mit Prinzendorfer Wein.

MERKUR Jahrgang 64, Heft 732, Heft 05, Mai 2010
180 Seiten, broschiert
ISSN: 0026-0096

Autoren in dieser Ausgabe

Henning Ritter, Alfred Gulden, Dirk von Petersdorff, Martin Urmann, Thomas Frahm, Horst Dreier, Kathrin Passig, Markus Knell, Karl Heinz Bohrer, Sanford Schwartz, Wolfgang Marx, Helmut Niemeyer,


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