Die Tragödie ist für Hofmannsthal zuerst und zuletzt die Form, die die Sprache an die Grenzen des Sagbaren treibt. An diesem extremen Punkt aktiviert Hofmannsthal das Bild und vor allem die Körpergeste, um das Andere der Sprache zum Ausdruck zu bringen, das sich nicht sagen, sondern nur zeigen lässt. Wahrlich omnipräsent sind in der Elektra die körperlichen Gebärden. Hofmannsthal hat hier einige seiner psychisch intensivsten Pathosformeln gefunden, so etwa wenn Elektra auf der Suche nach dem Beil fieberhaft den Boden aufzugraben beginnt und sich in diesem Tun die Erinnerung an den Vater und die Vorausschau auf den Racheakt sowie ihren eigenen Tod untrennbar durchdringen. Vor allem lässt Hofmannsthal das gesamte Stück in der umfassenden Körpergeste des Tanzes kulminieren. Es ist wohl kaum übertrieben zu sagen, dass sich in Elektras finalem Tanz ihr gesamtes Wesen und ihr tragischer Konflikt verdichten. Mit diesem Tanz wohnen wir zugleich auch dem Höhepunkt ihres psychischen Auflösungsprozesses bei. Dabei ist es entscheidend, genau auf die Spezifik der Vollzugsweise dieses Tanzes zu achten. Hofmannsthals Bühnenanweisungen nehmen sich ebenso präzise wie paradox aus. Klar ist, dass der Tanz der Elektra keineswegs auf einen orgiastischen Bewegungstaumel (wie etwa jenen der sich begeistert hingebenden Salome) zu reduzieren ist. Zwar hat Elektra einerseits den Kopf in den Nacken gelegt und "wirft die Kniee", womit Hofmannsthal ganz explizit das Bild einer "Mänade" evozieren will. Zugleich spielt aber noch ein diametral anders geartetes Moment in diesen Tanz mit hinein. Es deutet sich an, wenn Hofmannsthal Elektra sagen lässt: "der Ozean, der ungeheure, der zwanzigfache Ozean begräbt mir jedes Glied mit seiner Wucht, ich kann mich nicht heben!" In den Regieanweisungen ist von Elektras starrem Blick und Schritten des "angespanntesten Triumphes" die Rede, auf die unmittelbar der Zusammensturz folgt. Die paradoxe Kopräsenz dieser gegenläufigen Bewegungsmuster erweckt vielmehr den Eindruck eines zwanghaften hieratischen Voranschreitens, das jedoch bereits von seinem drohenden Kollaps unwiderstehlich unterlaufen und aus dem Rhythmus gebracht wird. Auch Richard Strauss´ Vertonung des Tanzes in der Opernfassung von Elektra geht genau in diese Richtung. Sie spaltet einen übergeordneten, gleichmäßig verlaufenden Sechsvierteltakt in zwei walzerartig verfremdete Dreivierteltakt-Abschnitte, die in ihrer dynamischen Sogwirkung allmählich das ursprüngliche Metrum zu überlagern beginnen. So entsteigt diesem sonderbaren Tanz eine äußerst prägnante Verbildlichung für die beiden entgegengesetzten Kräfte, die sich durch Elektra hindurch ausagieren. Ihr gewaltsamer Kampf um Identität ist zum Zusammenbruch verurteilt vor der alle Grenzen einreißenden Macht jener überindividuellen Affekte, die gerade durch den bedingungslosen Willen zur Reinheit und Treue zur eigenen Person erst in solche Höhen getrieben wurden. Es ist, als wollte Hofmannsthal sagen, nicht nur Elektras Schreckenstraum geschlossener Identität, sondern die Tragödie als ästhetische Form selbst hat in der kulturellen Konstellation der Moderne ihren Endpunkt erreicht. Ihr kommender Auftritt wird sich wandeln.
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