MERKUR

Heft 05 / Mai 2010

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Wolfgang Marx

Die Sprache ist eng wie ein Bewusstsein

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Zitate:

Es heißt, dass eine sehr weit fortgeschrittene Technik für einen naiven Betrachter nicht ohne weiteres von Magie zu unterscheiden sei. Allzu weit scheinen wir von diesem Stadium nicht mehr entfernt zu sein; denn bereits heute leben viele Menschen in einer von den Naturwissenschaften gestalteten und durchdrungenen Welt, ohne von ihr mehr als an der Oberfläche tangiert zu werden. Dennoch bezweifeln sie nicht, dass alles mit natürlichen Dingen zugeht und dass das auch nachvollzogen werden könnte, wenn man sich die Mühe machte, unter den Motorhauben, den Gehäusen oder Abdeckplatten der Maschinen nachzuschauen, die alle diese fabelhaften Wirkungen hervorbringen. Mangels Neigung, sich die umfassenden Kenntnisse anzueignen, die dazu notwendig wären, überlassen sie es freilich lieber Spezialisten, sich, falls erforderlich, mit all diesen im Alltag meistens verborgenen Mechanismen zu befassen. Das Grundvertrauen in technische Machbarkeit, der Glaube daran, dass alles, was geschieht, eine Wirkung natürlicher oder künstlicher Systeme ist und also eine materielle Basis hat, dieser Glaube ist den Menschen der Neuzeit gewissermaßen übergestülpt worden wie den alten Heiden das Christentum. Ein bisschen glauben mögen sie schon, sind aber deshalb noch lange nicht bereit, alle ihre alten Überzeugungen auf einen Schlag aufzugeben, schon gar nicht, wenn es um das Selbstverständnis geht, um das eigene Erleben und Verhalten. In dieser Sache kultiviert die überwältigende Mehrheit ein diffuses Weltbild, in dem sich Anteile eines cartesianischen Dualismus und magisch-animistisches Denken auf eigenwillige Weise mischen. Sie glauben, dass ihr Erleben eine Art "denkendes Ding" ist, man kann es "Seele" nennen oder "Geist"; und dieses Ding steuert den Körper wie ein Puppenspieler eine Marionette. Dazu muss es nicht einmal an Fäden ziehen, es genügt die magische Kraft des Wollens. Nun wissen wir aber seit Nietzsches unübertrefflicher Formulierung, dass Seele nur ein Wort ist für ein Etwas am Leibe. Es ist das zentrale Nervensystem, das, in beständigem Austausch mit dem gesamten Organismus, all die erstaunlichen Wirkungen hervorbringt, die die Psychologie als kognitive Leistungen beschreibt, also das Denken in einem weiten Sinne dieses Wortes. Dazu gehören auch Handlungsentscheidungen; und wenn man sich die Mühe machen würde, unter der Abdeckplatte, also der Schädeldecke, nachzuschauen, dann könnte man auch, das lehrt die Neuropsychologie, das eine und andere darüber herausfinden.

MERKUR Jahrgang 64, Heft 732, Heft 05, Mai 2010
180 Seiten, broschiert
ISSN: 0026-0096

Autoren in dieser Ausgabe

Henning Ritter, Alfred Gulden, Dirk von Petersdorff, Martin Urmann, Thomas Frahm, Horst Dreier, Kathrin Passig, Markus Knell, Karl Heinz Bohrer, Sanford Schwartz, Wolfgang Marx, Helmut Niemeyer,


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