MERKUR

Heft 06 / Juni 2010

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Yvonne Wübben

Was heißt, sich im Fußball orientieren? . Über rechte und linke Spielkultur

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Zitate:

Dem Zuschauer eines Fußballspiels stehen grundsätzlich verschiedene Optionen offen. Im Stadion kann er den Blick frei schweifen lassen. Er kann den Laufwegen der Spieler folgen und dabei, wenn er will, auch den Ball aus den Augen verlieren. Der Stadionbesucher hat mitunter Einsichten in strategische Entscheidungen und taktische Verläufe. Sein Blick wird nicht dazu gezwungen, immer auf Ballhöhe zu verharren. Gleichwohl ist der Blick von den Stadionrängen immer auch ein artifizieller Überblick über das Spielfeld, der mit der räumlichen Perspektive des Spiels selbst sehr wenig zu tun hat. Diejenige Perspektive, aus der heraus sich ein Spiel entwickelt, ist die der zweiundzwanzig Spieler. Wie sich Fußball aus der Perspektive der Spieler darstellen kann, sieht man im Fernsehen selten. Ausnahmen sind Hellmuth Costards Film Fußball wie noch nie (1971), der ein ganzes Spiel lang nur George Best ins Kameraauge fasst. Und ein 2006 erschienenes Filmporträt von Zinédine Zidane. Der Film entwirft eine ungewohnte Ästhetik des Fußballs, indem er den Zuschauerraum ausblendet und sich gänzlich auf den Spielerraumbeschränkt. Der Film bricht zudem mit unseren Sehgewohnheiten, indem er über neunzig Minuten allein Zidane ins Visier nimmt und nicht etwa den Ball. Er rückt eine einzige Spielerfigur ins Zentrum des Geschehens. Das Spiel ereignet sich somit in einer − vom Ball aus gesehen − dezentralen Perspektive. Es hat mit dem Fußball der Sportschau nur noch wenig zu tun. Der Film macht ferner deutlich, worin sich der Überblick des Zuschauers und der Blick des Spielers unterscheiden: Die zweiundzwanzig Spieler verfügen am wenigsten über einen Überblick. Sie sind immer gezwungen, ihre Entscheidungen für Laufwege und Abspiele aus einem äußerst spitzen und verengten Blickwinkel auf das Spielfeld zu treffen. Die räumliche Erstreckung des Spielfeldes zeigt sich gerade nicht aus ihrer eigenen Perspektive. Interessanterweise ist es meist die Perspektive des Beobachters von außen, die zur Grundlage eines entsprechenden sprachlichen Berichts über ein Spiel wird. Schon deshalb kann der Bericht die Wahrnehmung der am Spiel Beteiligten gerade nicht wiedergeben. Er verfehlt in dieser Hinsicht das Spiel selbst. Denn das eigentlich Verwunderliche oder wenn man will Atemberaubende an Vierzig-Meter-Pässen aus der Tiefe des Raumes ist: Sie werden von Spielern geschlagen, die vor sich nicht den offenen Raum sehen, sondern die gegnerischen Beine, an denen der Ball wie an Slalomstangen vorbeigespielt werden muss.

MERKUR Jahrgang 64, Heft 733, Heft 06, Juni 2010
100 Seiten, broschiert
ISSN: 0026-0096

Autoren in dieser Ausgabe

Hubert Markl, Henning Ritter, Peter N. Miller, Mateusz Stachura, Udo Di Fabio, Karen Horn, Wolfgang Ullrich, Ingo Meyer, Horst Meier, Yvonne Wübben, Dietmar Voss,


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