Zitate aus dem Juliheft, Nr. 806
Es ist
fast unendlich viel im Bereich der Tierpsychologie unbekannt. Wir wissen nicht,
wie die komplizierten Verknüpfungen in der Tierseele aussehen, die das
Herumtollen junger Hunde ermöglichen, das Spiel des »Als ob«: als ob sie sich
beißen, als ob sie sich fangen. Wir wissen nicht, wie es möglich ist, dass
Insekten Staaten bilden mit verflochtenen Funktionen. Hier können wir mit
Sicherheit sagen: Das Denken, wie wir es ausüben, kann den Bienen und Ameisen
nicht geholfen haben und nicht weiter helfen. Und ein anderes Denken kennen wir
nicht. Also bleibt nur die Auskunft des Nichtwissens oder vielleicht des
Noch-nicht-Wissens.
Reinhard Brandt, Die Lobby der Tiere
Sicherlich
kann es nicht darum gehen, den Generalverdacht des Modernismus gegen die
akademische Malerei des 19. Jahrhunderts wiederzubeleben und mit Adorno und
Greenberg »Kunst« und »Kitsch« zu polarisieren. Aber die Kunstgeschichte sollte
sich der nicht unerheblichen Aufgabe stellen, all jene Kategorien der
ästhetischen Erfahrung aufzuarbeiten, die mit der Erschließung eines
Massenpublikums durch die Malerei einhergingen und weder im Horizont einer
kantschen noch einer burkeschen Ästhetik gefasst werden können: das Niedliche
und Hübsche, das Obszöne und Grauenvolle, das Kitschige und Bizarre, das
Hyperbolische und Exzessive.
Barbara Wittmann, Die Viktorianer – unsere Zeitgenossen
In den 1980er Jahren kristallisierte sich die bundesrepublikanische genealogische
Erinnerungskultur an zwei großen nationalen historischen Museen: dem Deutschen
Historischen Museum in Berlin und dem Haus der Geschichte in Bonn. Dreißig Jahre
später könnte es ein im Kern ethnologisches Museum im Humboldt-Forum sein, das
der deutschen Erinnerungskultur die Richtung weist und Themen auf die
öffentliche Agenda setzt, die gut zur Selbstfindungsphase eines
Einwanderungslands passen.
Thomas Thiemeyer, Deutschland postkolonial
Gegen
Ungerechtigkeit und für die Gleichheit zu sein, heißt, kann nur heißen, für
individuelle, subjektive Rechte zu sein. Dass uns dies als eine alternativlose
Selbstverständlichkeit erscheint, bringt aber nur zum Ausdruck, dass wir alle
Liberale geworden sind. Zwar mag es zutreffen, dass der Liberalismus als eine
Partei, die im Gegensatz zu anderen steht, im Verschwinden begriffen ist.
Zugleich aber ist es dem Liberalismus gelungen, seine parteiliche Grundannahme
als unumstrittenes Grundprinzip der soziopolitischen Ordnung zu etablieren.
Christoph Menke,
Philosophiekolumne
Der aus
Kamerun stammende Mbembe, der heute in Südafrika lebt, vertritt eine wuchtige
These. Sie besagt, dass dem globalen Kapitalismus, wie er im 15. Jahrhundert im
Kontext des transatlantischen Sklavenhandels entstanden sei, von Beginn an ein
rassistisches Denken, eine »schwarze Vernunft« eingeschrieben war. Der Aufstieg
Europas ging demnach einher mit der Schaffung der Figur des »Negers«, des »Menschenmaterials«,
der »Menschenware«. Inzwischen bilde Europa zwar nicht mehr das Gravitationszentrum
der Welt, doch die »condition nègre« sei in der durch überbordenden
Kapitalismus charakterisierten Gegenwart weiterhin präsent, wenngleich vom
Konzept der Rasse entkleidet, nun gleichsam in Gestalt eines »Rassismus ohne
Rassen«.
Andreas
Eckert, Der Ausgang aus der
großen Nacht
Als Louis C.K. die Serie Louie
entwarf, versprach ihm der Sender FX vollkommene künstlerische Freiheit
innerhalb eines moderaten, aber garantierten Budgets, ein Versprechen, das bis
heute in der Fernsehwelt einmalig sein dürfte und als »Louis-C.K.-Deal« bekannt
wurde. Als Hauptfigur, alleiniger Autor, Cutter und Regisseur von Louie wurde
C.K. in kürzester Zeit zu einem der wenigen autonomen Autorenfilmer im englischsprachigen
Raum.
Jan Wilm,
Leben und Abschweifungen von
Louis C.K., Comedian
Während noch eifrig
darüber gestritten wird, wie mit dem verschwundenen Kanon umzugehen sei, sind
dort, wo über den Kanon nicht geredet, sondern wo er tatsächlich gemacht wird –
im Museum nämlich –, diese Fragen längst entschieden worden. Und das
überraschende Resultat ist, das die Rede vom »Verlust des Kanons«, zumindest
was die Bildende Kunst betrifft, Unsinn ist.
Jan von Brevern, Ist Kunst
widerständig?
Selbst den hartnäckigsten
Verfechtern studentischer Selbstbestimmung leuchtet unmittelbar ein, dass man
ein Studium der Biologie oder der Chemie nur unter der Bedingung regelmäßiger
Anwesenheit in Laboren erfolgreich bewältigen kann. Dass auch wissenschaftliche
Basisoperationen wie das Analysieren, Verstehen oder Interpretieren von Texten
nur durch wiederholtes Training und in der Interaktion mit anderen erlernt
werden können, scheint dagegen schwer vermittelbar zu sein.
Erika Thomalla, Das wissen wir also noch
nicht
Es liegt auf der Hand, dass jedes
regelbasierte Maßnahmenpaket genauso gut auch im Rahmen einer eilig
einberufenen parlamentarischen Sondersitzung beschlossen werden könnte. Aber
zugleich weiß man, dass solch eine rasche, friktionsfreie Umsetzung illusorisch
ist und Diskussionen, Arbeitsgruppen, Abstimmungen und mannigfaltiges Hickhack
den Prozess oft stark bremsen. Durch die festgelegte Regel wird die Reaktion
hingegen beinahe zu einem unbewussten Reflex.
Markus Knell, Politique Automatique
Der Bauer hält sich Gänse und hat eine Flinte im Schrank. Er ist ein
friedliches Haustier. Aber wenn ein Räuber kommt, wird er zum Gendarm. Auch der
Räuber hat eine Waffe, auch er ist ein gendarme. Auch er gehört zu den Leuten,
die eine Waffe zur Hand haben. Die Menschen sind ein bewaffnetes Geschlecht.
Tiere verzichten auf Hand und Waffe.
Hannes Böhringer, Wer da?
Obwohl doch im
Pudel der Wolf kaum mehr zu erkennen ist, hat sich das Dämonische keineswegs
aus ihm verzogen, sondern vielleicht nur ins penetrant Süßliche fortentwickelt.
Die Verhaustierung eines ursprünglich in Rudeln lebenden Raubtiers erreicht ihr
Maximum, wenn uns aus einem Fellknäuel heraus zwei freundliche Knopfaugen
anschauen und wirklich uns damit meinen.
Harry Walter, Frauen mit
Pudel