Zitate aus Merkur, Nr. 818, Juli 2017
Dass Skepsis gegenüber Mehrheitsherrschaft wenig demokratisch ist, versteht sich von selbst. Es ist nicht möglich, Demokratie so zu bestimmen, dass die praktische politische Relevanz von Mehrheiten verschwindet. Interessanter als das fehlende demokratische Bekenntnis ist aber die irrige politische Diagnose, die der Kritik an Mehrheitsherrschaft zugrunde liegt. Sie ignoriert, dass es Minderheitenschutz nur dort gibt, wo Mehrheiten gezählt werden.
Christoph Möllers, Wir, die Bürger(lichen)
Die kulturelle Distanz ist sehr, sehr wichtig. Also war ich in diesem Sinne ein Verräter, ich wollte jemand sein, der mit Kultur zu tun hat, der Bücher liest, die Avantgarde. Ich wollte nicht so sein wie meine Eltern. Ich musste mich physisch und mental distanzieren, auch geografisch, um jemand anderes zu werden.
Peter Rehberg, Interview mit Didier Eribon
Vance formuliert damit eine Position, die man als mitfühlende libertäre Politik charakterisieren könnte. Veränderungen zum Positiven können sich demnach nur durch ein Verhalten ergeben, das den Durchsetzungswillen des Einzelnen mit Nächstenliebe verbindet (...) Aus dieser Perspektive steht nicht kollektives Handeln im Zentrum, sondern das Handeln von Einzelnen, die mit Hilfe ihrer persönlichen Netzwerke gesellschaftlich reüssieren können.
Carlos Spoerhase, Politik der Form
Nach Berlin geht man nicht, um dessen Versprechen permanent einzulösen. Für »Berlin« braucht man Berlin nicht. Da zählt sowieso nicht das, was irgendwo passiert, wenn man gerade da ist – wie soll man das auch alles mitkriegen? –, sondern die Angst, dass man etwas verpassen könnte, wenn man nicht da ist, wenn andere das sagen. Berlin als Sinn schlechthin ist der Traum, sich gerade nicht mehr bewegen zu müssen.
Rembert Hüser, Dreitagebart (I)
Macht Castorf auf der Bühne (fast) alle Frauen zu Huren, weil dieser Beruf der deutlichste Ausdruck ihrer Verdinglichung ist? Oder ist die käufliche Frau ganz im Gegenteil eine selbstbewusste und resolute Unternehmerin ihrer selbst, die dem Kapitalisten Faust in nichts nachsteht, ja sogar als dessen Gegenüber auf Augenhöhe taugt?
Eva Behrendt, Theaterkolumne
Schule und Unterricht sind auch Ort von Taktik und Strategie, nicht allein der authentischen Beziehungen. Die stillschweigende Einführung in das Ethos des Tausches und des Täuschens gehört zum heimlichen Lehrplan moderner Schulen. Wer dies allein als Übel verunglimpft, verkennt die zivilisierende Dimension der Schule und daher auch die Bedeutung von Tausch und Täuschung für die zivilisierte Gesellschaft.
Roland Reichenbach, Bildungskolumne
Freunde der Romanliteratur werden die Anspielung schätzen und der Einladung folgen, eine sehr fremde Perspektive zu übernehmen: Nicht die eines Seemanns, auch nicht die des weißen Wals, einem Fadenwurm sollen wir folgen, in anderen Teilen des Buchs auch Mikroben. Die vielleicht größte Herausforderung besteht darin, die Welt wie ein Pilz wahrzunehmen.
Marcus Twellmann, Denken wie ein Pilz
Als Philipp Felsch den »langen Sommer der Theorie« rekapituliert hatte, konnte man binnen Kurzem beobachten, wie die Reaktionen derjenigen ausfallen, die dazu gezwungen sind, sich mit der Historizität ihrer Voraussetzungen und Selbstverständlichkeiten auseinanderzusetzen. Felschs formaler Kunstgriff gleicht der exzentrischen Positionierung, die der junge Kafka in seinem Tagebuch in Erwägung zieht. Die religiöse Praxis, deren Sinnhaftigkeit dadurch unter Druck gerät, ist die der Theorie selbst.
Michael Neumann, "Übergangsmenschen"
Diese Besessenheit von der Frankfurter Schule und ihrem »Kulturmarxismus« geht allerdings nicht allein auf Breitbarts Kappe. Auch nicht neu ist die allen Tatsachen zuwiderlaufende Idee, die Theorie der Kulturindustrie von Adorno und Horkheimer sei im Dienst des amerikanischen Kapitals entwickelt worden – in der Absicht, mithilfe der Medien, mithilfe von Hollywood und später auch des Rock’n’Roll die amerikanischen Massen zu kontrollieren.
Andreas Huyssen, Breitbart News und die Frankfurter Schule
»In Berlin«, sage ich nur, »sieht es nicht so schön aus.« Und jetzt erst bemerke ich, wie ernst an diesem Tisch über alles gesprochen wird. Wann habe ich mich zuletzt so unironisch unterhalten? Kann ich das überhaupt noch?
David Wagner, Hausbesuche II – Barcelona
Der Grund für diese wächserne Starre ist zu einem gewissen Teil technisch bedingt: In jener Zeit, der das Fotopaar entstammt, waren für eine scharfe und ausreichend belichtete Aufnahme relativ lange Belichtungszeiten vonnöten, so dass die Körper, insbesondere die Köpfe, mittels Stützapparaturen in eine künstliche Starre versetzt werden mussten. Das Sich-Einfrieren-Müssen während des Aufnahmezeitraums führte zu einer Überstilisierung der Physiognomie, zu einer neuartigen Form der Gesichtstheatralik, zu Köpfen, die uns heute oft wie Karikaturen auf den Begriff Charakter anmuten.
Harry Walter, Stereoskopische Hände
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