Zitate
aus dem Dezemberheft 2015, Nr. 799
Immer mehr
Ethnologen definieren sich über ihre Feldforschung. Sie verfeinern die
Beschreibung, und das ist interessant; aber das allgemeine Projekt des
Versuchs, sich darüber klar zu werden, was Menschen sind und was ihr Ort in der
Welt ist, also das, was ich für die essenzielle Aufgabe der Ethnologie halte,
ist darüber zusehends verloren gegangen.
Cord Riechelmann/Danilo Scholz, Gespräch mit Philippe Descola
Berühmtheit und Ruhm sind nicht das Gleiche. Die Berühmtheit beruht nicht nur
auf einhelliger Bewunderung für Ruhmestaten, sondern genauso auf Neugier, einem
Wunsch nach Vertrautheit und einer Faszination, die sich noch für kleinste
biografische Details interessiert – das Privatleben bekannter Persönlichkeiten
eingeschlossen. Berühmtheit ist die ambivalentere Kategorie, denn ihre Wirkung
speist sich auch aus Schwächen und Skandalen.
Antoine Lilti, Die Politik der Berühmtheit
Das „starke“ Programm
einer historischen Ethnografie der Begegnung fordert, aus Sorge um das Prinzip
der Symmetrie, im Rahmen der vorhandenen Quellen die Ähnlichkeiten und
Unähnlichkeiten der Welten, die da jeweils aufeinandertreffen, unvoreingenommen
unter die Lupe zu nehmen. Interessant ist das in dem Maß, in dem auf der einen
wie auf der anderen Seite neue Fremdheitseffekte auftauchen – was im Ergebnis
die vermeintlichen Gewiss-heiten auf den Kopf stellt, die die Basis der
eurozentristischen Arroganz ausmachen.
Romain Bertrand, Für eine Welten-Geschichte
Der
Supermarkt ist zum einen das wahre Paradies auf Erden, eine Sphäre kampfloser
Verausgabung, ein Idyll des Überflusses. Aber er ist auch der Ort, an dem der
Mensch wie nirgendwo sonst auf sich zurückgeworfen ist. Houellebecqs
Protagonisten haben wochenlang keinen Kontakt zur Außenwelt, der Umkreis ihrer
sozialen Interaktion schrumpft auf das knappe Gespräch mit der Kassiererin
zusammen: „Haben Sie eine Kundenkarte? – Nein.“ Das Gedicht
Hypermarché-Novembre schildert so erschütternd wie komisch einen Zusammenbruch,
den das lyrische Ich vor dem Käseregal erleidet.
Danilo Scholz, Zwei, drei, viele Houellebecqs
Kein Wunder, dass die
philosophische Bewegung des spekulativen Realismus sich der Science-Fiction so
nahe fühlt: Dies ist nicht nur eine den Naturwissenschaften zugewandte, sondern
auch menschliche Maßstäbe relativierende Literatur.
Ekkehard Knörer, Literaturkolumne
Der Körper ist kein empirischer Körper; der Diskurs ist keine Selbstauskunft;
vom Körper sprechen, heißt, ein Relais zu behaupten, das die ästhetische Erfahrung
in ein Verhältnis zu Praktiken, Prozessen und zu Momenten der Affizierung
setzt; aber es heißt nicht, etwas anderes als einen phantasmatischen, sublimen
Körper zu konturieren, der nur in diesem Verhältnis existiert.
Stefanie Diekmann, Die Körper von Roland Barthes
Es war in einem doppelten
Sinn keine gute Idee, Staatspräsident Hollande bei seinem An-trittsbesuch in
Berlin Spargel mit Sauce Hollandaise zu servieren. Zum einen hätte man im
Vorfeld des Besuchs in Erfahrung bringen können, dass der französische
Präsident keinen Spargel mag, zum anderen nährte der Menüplan die vor dem
Hintergrund der zunehmenden ökonomischen Ungleichgewichte und der wachsenden
Verstimmung zwischen den beiden Staaten ohnehin vorhandene Vorstellung, hier
stünde eigentlich der eine auf dem Speiseplan des/der anderen.
Philip Manow, Politisches Essen
Die Moderne endet in dem Moment, in dem Technik und Vernunft, Kausalität und
Kontrolle nicht mehr gleichgesetzt werden können. Sie endet in dem Moment, in
dem mit den elektronischen Medien Prozesse der Vernetzung und Verschaltung
beobachtbar werden, die jede Möglichkeit der kritischen Reflexion
überschreiten.
Dirk Baecker, Designvertrauen
Mit dieser
Schwierigkeit, von draußen hineinzukommen, hat jede Erkenntnis zu tun. Wenn man
irgendwie hineingelangt ist, erscheint alles klar und einfach. Aber wie habe
ich die Türe passiert? Glück gehabt. Der Pförtner hat mich mit jemand anderem
verwechselt. Ich habe ihn überreden können, mich hineinzulassen. Er hat
jemanden herausgelassen, da bin ich schnell hineingeschlüpft. Oder ich stand
ratlos vor der Tür, als jemand mit einem Schlüssel dazukam und mich mit
hineingenommen hat.
Hannes Böhringer, Eine Tür für die Philosophie
Ich
habe gehört, die Wohnungseigentümer wollen aufstocken, um aufzuwerten, was die
Nachbarn ablehnen, um nicht abzuwerten. Des einen Licht ist des anderen
Schatten. Zwei gegenläufige Anlageinteressen haben sich so miteinander
verkantet, dass sie mir eine gewisse Zeit einen Giebel über dem Kopf bilden.
Der Mietvertrag ist befristet bis zum eventu-ellen Bautermin. Doch vielleicht
bleibt mir die Fürsorge der rivalisierenden Renditewünsche weiter
erhalten.
Leander Steinkopf, Münchner Freiheit
Wir stellen uns zwanzig
Minuten an, bis endlich fünf puppige Törtchen für knappe fünfzig Euro liebevoll
in einem Schmuckkarton verpackt und mit einem roten Stoffband verschnürt
werden. Gleich auf dem Trottoir reißen wir den Karton ungeduldig auf und
schaufeln uns die Süßigkeiten mit einem kleinen Löffel, den ich im Thalys
geklaut habe, in unsere Münder.
Stephan Herczeg, Journal (letzte Folge)
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