Journal (I) Von Stephan Herczeg Dass man selber alt und möglicherweise konservativ verbohrt geworden ist, merkt man besonders dann, wenn sich noch konservativere Ältere plötzlich für technische Neuerungen begeistern, die man vor allem aus Gründen der Eitelkeit komplett ablehnt. Zum Beispiel ...
Journal (II) Von Stephan Herczeg Neues Hobby aufgetan: sich von anderen Menschen in ähnlichen Lebenssituationen deren Zukunftskonstrukte bezüglich Liebe, Partnerschaft und Sex darlegen lassen. Die ähnliche Lebenssituation besteht darin, dass man als mittelalter Mensch auf meist eher unerfreuliche ...
Journal (III) Von Stephan Herczeg Sonntagsmatinee in der Kölner Philharmonie. Meine Begeisterung für Matinees hält sich seit jeher in Grenzen. Ich sitze ungern tagsüber, am späten Morgen, in fensterlosen, großen Konzertsälen, umgeben von älteren Abonnementehepaaren, die sich während des letzten ...
Journal (IV) Von Stephan Herczeg Ich solle doch am besten persönlich in der Immobilienagentur vorbeikommen, um die ganze Problematik vor Ort zu besprechen, sagt mir am Telefon die etwas zickige Pariser Wohnungsmaklerin. Die Problematik – das weiß ich jetzt schon – besteht vor allem darin, dass ich ...
Die Zeit, momentan von erbsensuppiger Konsistenz, graugrün vor sich hin köchelnd, am Topfboden festgebacken. Ab und zu wälzt sich eine besonders große, induktionskochplattenbedingte Suppenluftblase nach oben, zerplatzt an der Oberfläche und hinterlässt an der Topfinnenwand einen abstrakt ...
Journal (letzte Folge) Von Stephan Herczeg Dauerregen in Paris. Ich sitze mit dem deutschen Freund aus Toronto leicht verkatert in einem Straßencafé auf dem Boulevard Voltaire, und wir überlegen uns, was wir frühstücken sollen. Da es schon fast zwölf Uhr ist, gibt es natürlich kein Frühstück mehr, ...
Das baldige Auslaufen des alten Handyvertrags kündigt sich meist durch eine erhöhte Frequenz von Callcenter-Anrufen des Mobilfunkproviders an, der – in Unkenntnis der mir innewohnenden Trägheit – radikal-revolutionäre Veränderungen unserer bis ins kleinste Detail geregelten Beziehung vermutet, die ...
Journal (VI) Von Stephan Herczeg Termin in der zahnärztlichen Gemeinschaftspraxis. Allein schon der Begriff »Gemeinschaftspraxis«. Klingt zunächst leicht kommunistisch oder zumindest wie ein ins Arztgewerbe hinübergeretteter Raiffeisen-Gedanke. Aber unromantisch und nüchtern betrachtet rotten sich ...
Journal (VII) Von Stephan Herczeg Wie immer bei Mahlers 5. Symphonie leicht schwitzige Hände, bevor es losgeht. Meine Innenhandschweißdrüsen solidarisieren sich mit dem Trompeter des großen Orchesters, der gleich ganz alleine mit einer Fanfare den ersten Satz beginnen und die Symphoniemaschine in ...
Stephan Herczeg Journal (VIII) Da man immer alles zu spät macht, herauszieht und verzögert, füllt man erst ein paar Tage vor der Urlaubsreise irgendwelche Buchungsmasken auf ausländischen Bahn-Websites aus und kauft sich schließlich preisreduzierte Erste-Klasse-Tickets, die nur ein paar Euro mehr ...
Journal (X) Von Stephan Herczeg Ein Jahr lang in Paris immer Metro gefahren, erst kürzlich aber ein Faible für Busfahrten entdeckt. Der Busfahrer begrüßt jeden Fahrgast beim Einstieg, man fährt schön durch Nebenstraßen, in denen man noch nie war und auch niemals zu Fuß sein wird, um einen herum ...
Journal (XI) Von Stephan Herczeg Einer dieser grauen, jahreszeitlosen Sonntage, Temperatur um die zwölf Grad, es könnte bald anfangen zu regnen, vielleicht aber auch nicht. Gerade als Mitteleuropäer sollte man sich langsam daran gewöhnt haben, dass in sechzig Prozent der bisher dahingelebten ...
Journal (XII) Von Stephan Herczeg Anflug auf Madrid. Das Flugzeug befindet sich auf einer Höhe, ungefähr so mittelhalbhoch, die einem nur deshalb vertraut vorkommt, weil man sie aus dem Satellitenansichtsmodus von Google Maps kennt. Kurz aufwallendes Entmündigungsgefühl in den digitalen Eingeweiden ...
Journal (XIII) Von Stephan Herczeg Kulturbrav über die Internetseite Theaterkarten für Les fausses confidences von Marivaux im Pariser Odéon-Theater gekauft. Wie immer gibt es bereits Wochen vorher entweder keine Karten mehr oder wenn überhaupt, dann nur noch extrem schlechte. Also gut, dann eben ...
Journal (XIV) Von Stephan Herczeg In der Einkaufsstraße, direkt neben dem Fruchtgummi-Selbstabwiege-Laden, hat eine Art Kunstgeschäft eröffnet, in dem Malereien als Mitnahmeartikel verkauft werden. Warum auch nicht, denkt man großzügig überheblich und schaut sich den Laden einmal näher an. Das ...
Journal (XIX) Von Stephan Herczeg »Meine Buschrose geht kaputt«, sagt der Pariser Freund und zeigt auf eine nicht besonders üppig gedeihende Pflanze mit weißen Blüten, die in einem riesigen, an Versailles orientierten Pseudobarocktontopf steht, der bestimmt doppelt so teuer war wie das davon ...
Journal (XV) Von Stephan Herczeg In gelegentlichen Schwermutsanflügen bei besonders gutem Wetter lasse ich meine Gedanken der Einfachheit halber durch den Verstorbenenfundus schweifen, der schwer wie Blei irgendwo in mir drin liegt und sich zum Glück nicht mehr so oft ins Bewusstsein schiebt wie ...
Journal (XVI) Von Stephan Herczeg Unterwegs mit dem Pariser Freund in die Wohnung seines kürzlich verstorbenen Bekannten (der Anonymität halber von nun an Monsieur B. genannt), der so etwas wie die mondäne, überintellektuelle Variante eines väterlichen Freundes für ihn war. Kennengelernt haben sie ...
Journal (XVII) Von Stephan Herczeg Seit über einem Jahr stehe ich zweimal im Monat, jeden zweiten Dienstag, um sieben Uhr morgens an der Bushaltestelle Botzaris, ganz im Nordosten von Paris, um dort auf den Bus der Linie 48 zu warten, der direkt zum Gare du Nord fährt. Wie generell im Leben passiert ...
Journal (XVIII) Von Stephan Herczeg Starken Regen, ohne Unterlass, mehrere Tage lang, erlebt man auch nicht oft in seinem Leben. Erstaunlicherweise nahm man den Regen auch einfach so hin, ohne sich groß darüber zu echauffieren. Irgendwann kam es mir schon normal vor, dass es ständig regnete. Endlich ...