William Gibson

William Gibson

William Gibson, geboren 1948 in South Carolina, wanderte mit 19 Jahren nach Kanada aus, um der Einziehung zum Vietnamkrieg zu entgehen. 1972 ließ er sich in Vancouver nieder, wo er noch heute mit seiner Familie lebt. Bekannt wurde er mit seinem 1984 erschienenen und vielfach preisgekrönten Roman ...

William Gibson, geboren 1948 in South Carolina, wanderte mit 19 Jahren nach Kanada aus, um der Einziehung zum Vietnamkrieg zu entgehen. 1972 ließ er sich in Vancouver nieder, wo er noch heute mit seiner Familie lebt. Bekannt wurde er mit seinem 1984 erschienenen und vielfach preisgekrönten Roman Neuromancer, in dem er erstmals den Begriff »Cyberspace« prägte. 2019 wurde ihm der Damon Knight Memorial Grand Master Award für sein Lebenswerk verliehen.

Romane
- 1984 Neuromancer (dt. 1987), Teil 1 der Neuromancer-Trilogie (Sprawl-Zyklus); Rezension (http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=280)
- 1986 Count Zero (dt. 1988 Biochips), Teil 2 der Neuromancer-Trilogie
- 1988 Mona Lisa Overdrive (dt. 1989), Teil 3 der Neuromancer-Trilogie
- 1990 The Difference Engine (dt. Die Differenzmaschine) (in Zusammenarbeit mit Bruce Sterling)
- 1993 Virtual Light (dt. 2002 Virtuelles Licht), Teil 1 der zweiten Trilogie von Gibson
- 1996 Idoru (dt. 1997), Teil 2 der zweiten Trilogie von Gibson
- 1999 All Tomorrow's Parties (dt. Futurematic), Teil 3 der zweiten Trilogie
- 2003 Pattern Recognition (dt. Mustererkennung)
- 2007 Spook Country (dt. Quellcode)

Kurzgeschichten
- Eine Reihe von Kurzgeschichten wurden gesammelt unter dem Titel Burning Chrome (dt. 1988 Cyberspace) veröffentlicht.
- Johnny Mnemonic (dt. Der mnemonische Johnny) - verfilmt 1995 als Johnny Mnemonic
- The Gernsback Continuum (dt. Das Gernsback-Kontinuum)
- Fragments of a Hologram Rose (dt. Fragmente einer Hologramm-Rose)
- The Belonging Kind (dt. Zubehör) (in Zusammenarbeit mit John Shirley)
- Hinterlands (dt. Hinterwäldler)
- Red Star Winter Orbit (dt. Roter Stern, Winterorbit) (in Zusammenarbeit mit Bruce Sterling)
- New Rose Hotel
- Winter Market (dt. Der Wintermarkt)
- Dogfight (dt. Luftkampf) (in Zusammenarbeit mit Michael Swanswick)
- Burning Chrome (dt. Chrom brennt)
- Auszeichnungen für Pattern Recognition
- New York Times: Notable Book
- L.A. Times: Best Book of the Year 2003
- Washington Post: Best Book of the Year 2003

William Gibson über sein Leben

Gene Wolfe hat mal gesagt, ein Einzelkind zu sein, dessen Eltern tot sind, ist so, als wäre man der einzige Überlebende eines versunkenen Atlantis. Da war eine ganze Kultur, ein ganzer Kontinent, aber jetzt ist das alles verschwunden. Und nur noch man selbst übrig. Das ist auch meine Geschichte, weil mein Vater starb, als ich sechs war, und meine Mutter, als ich achtzehn war. Brian Aldiss meint, im Leben eines jeden Romanciers finde sich ein früher traumatischer Bruch, und meins ist da offenbar keine Ausnahme.

Geboren wurde ich an der Küste von South Carolina, wo meine Eltern gern Urlaub machten, als dort noch fast nichts war. Mein Vater war im mittleren Management eines großen und immer weiter wachsenden Bauunternehmens. Sie hatten an der Atomanlage Oak Ridge mitgebaut, und paranoische Legenden über die „Sicherheitsmaßnahmen“ in Oak Ridge gehörten zu unserer Familienkultur. Es gab eine Zigarrenkiste mit seltsamen Ausweisschildchen, die mein Vater dort getragen hatte. Aber er hatte offenbar in Oak Ridge seine Sache gut gemacht und die Firma, bei der er tätig war, ebenfalls, und im Nachkriegssüden waren sie damit beschäftigt, ganze Backstein-Vorstadtsiedlungen à la Levittown zu errichten. Wir zogen häufig um, diesen Projekten hinterher, und mein Vater war oft weg, um neue Aufträge an Land zu ziehen. >>>

Meine Welt war geprägt vom frühen Fernsehen, von einem neuen Oldsmobile mit einem Karosseriedesign wie aus Rocketship und von Spielzeug zu Science-Fiction-Themen. Dann ging mein Vater wieder einmal auf Geschäftsreise. Er kam nicht mehr zurück. In einem Restaurant blieb ihm etwas im Hals stecken, der Heimlich-Handgriff war noch nicht erfunden, er erstickte, und alles wurde anders. Meine Mutter ging mit mir zurück in die Kleinstadt in Südwest-Virginia, aus der sie und mein Vater stammten - ein Ort, wo die Moderne zwar zu einem gewissen Grad angekommen war, man ihr aber zutiefst mißtraute. Vom traumatischen Verlust meines Vaters abgesehen, hat nach meiner Überzeugung dieses Gefühl, jäh in die Vergangenheit versetzt worden zu sein, mein Verhältnis zur Science-Fiction begründet.

Ich wurde schließlich eben jener introvertierte kleine Bücherwurm, den man in der Biographie der meisten amerikanischen Science-Fiction-Autoren findet, der Junge, der wie ein Besessener Bücherborde mit Taschenbüchern und Heftchen füllt und davon träumt, eines Tages selbst Schriftsteller zu werden. Mit fünfzehn wurde ich, nachdem meine chronisch ängstliche und depressive Mutter mit dieser Erziehungsentscheidung einen atypischen Ausbruch von gesundem Menschenverstand gezeigt hatte, auf ein Jungeninternat in Arizona verfrachtet. Wie ein Engerling aus meinem Zimmer mit den sich biegenden Bücherborden ans Licht gezerrt, begann ich blinzelnd mit der erzwungenen Erschaffung einer Persona, die nicht ganz so Lovecroftsche Züge trug - und sich hauptsächlich auf eine zufällige literarische Entdeckung gründete, die etwa ein Jahr zurücklag.

Auf der unablässigen Suche nach mehr und/oder besserer Science-Fiction war ich über Borroughs - nicht Edgar Rice, sondern William S. -- gestolpert, und mit ihm waren seine Kollegen Kerouac und Ginsberg in mein Gesichtsfeld getreten. Ich hatte diese Sachen gelesen oder zu lesen versucht, ohne die geringste Ahnung zu haben, was das alles bedeutete, und ich fühlte mich getrieben - ohne zu wissen, wozu. Der Effekt war, daß ich im Lauf der nächsten Jahre, jedenfalls nach den Maßstäben meines Heimatorts in Virginia, der „Patient Null“ dessen wurde, was man später die Gegenkultur nannte. Damals konnte ich nicht wissen, daß Millionen weiterer Boomer-Babys, Wechselbälge allesamt, dieselbe Metamorphose durchmachten.

In Arizona wurde die Science-Fiction mit anderen kindischen Dingen beiseite gepackt, als ich daran ging, mich durch die Pubertät zu kämpfen und mit der ganzen Intensität und Unbeholfenheit, die damit einhergeht, wechselnde Personae auszuprobieren. Ich war, glaube ich, tatsächlich auf dem Weg irgendwohin, als schockierend plötzlich meine Mutter starb. Sie fiel buchstäblich tot um: der zweite Schlag, auf den ich gewartet hatte, seit ich sechs gewesen war. Danach lief es, was sich vermutlich zu sagen erübrigt, eine Weile nicht besonders gut. Ich schmiß die Schule, schloß mich dem Kinderkreuzzug jener Tage an und fand mich plötzlich in Kanada, einem Land, über das ich so gut wie nichts wußte. Ich konzentrierte mich darauf, der Einberufung zum Militär zu entgehen und am Leben zu bleiben, und versuchte dabei, den Eindruck zu erwecken, daß ich diesen Summer of Love genoß. Ich entging dem Militärdienst insofern, als man sich gar nie die Mühe machte, mich einzuziehen, und seither lebe ich im wesentlichen in Kanada.

Nachdem ich, bis auf einen kurzen, von Unruhen geprägten Abstecher in den Distrikt von Columbia, die Wogen der sechziger Jahre in Toronto abgeritten hatte, lernte ich ein Mädchen aus Vancouver kennen. Wir gingen nach Europa (vor allem in Länder mit faschistischen Regimes und immens günstigen Wechselkursen), heirateten und zogen nach British Columbia, wo ich mit ansah, wie das siedende Fett der Sixties erstarrte, während ich an der UBC eher planlos den Bachelor in Englisch machte. 1977, als ich vor der Situation stand, erstmals Vater zu werden und absolut keine Lust auf so etwas wie eine „Karriere“ zu haben, stellte ich plötzlich fest, daß ich dabei war, mein vorpubertäres Interesse für Science-Fiction wieder auszumotten. Gleichzeitig waren aus New York und London seltsame Geräusche zu vernehmen. Ich verstand Punk als die Detonation eines Verzögerungsgeschosses, das sich zehn Jahre zuvor in die Flanke der Gesellschaft gebohrt hatte, und nahm das irgendwie als Zeichen. Und begann zu schreiben. Und habe es seither immer getan. Wer mich googelt, erfährt, daß ich alles auf einer mechanischen Schreibmaschine schreibe, was schon seit 1985 nicht mehr der Fall ist, aber faulen Journalisten einen so bequemen Aufhänger bietet, daß ich es vermutlich bis an mein Lebensende lesen werde. Die Schreibmaschine benutzte ich nur, weil das 1977 jeder tat, und eine mechanische war es, weil ich nun mal eine solche umsonst bekommen hatte. Das Internet mied ich tatsächlich, aber nur bis es durch das Web zu einer so wunderbaren Möglichkeit wurde, Zeit zu vergeuden, daß ich nicht länger wiederstehen konnte. Heute ist das Netz vermutlich einer der Orte, wo ich die meiste Zeit verbringe, obwohl ich -- demographisch gesehen -- insofern eigenartig bin, als ich keine zwölf Stunden im Jahr fernsehe und das schon, seit ich fünfzehn war. (Ein Mensch, der nicht fernsieht, ist ein noch komischerer Vogel als jemand, der keine Internetadresse hat.) Ich habe keine Ahnung, warum das so kam. Es war keine bewußte Entscheidung.

Doch, ja, ich habe eine Internetadresse, aber, nein, ich gebe sie euch nicht. Ich bin nur einer, und ihr seid viele, und selbst wenn ihr nur, sagen wir, siebenundzwanzig weltweit seid, ist das immer noch zuviel. Weil ich ja leben muß und Zeit vergeuden und schreiben.

Ich vermute, ich habe in etwa so viel Zeit mit Schreiben zugebracht wie der Durchschnittsmensch meines Alters mit Fernsehen, und vielleicht ist das ja das eigentliche Geheimnis.

6. November 2002/Deutsch von Cornelia Holfelder-von der Tann
Mit freundlicher Genehmigung der Agentur Paul & Peter Fritz


Unser Service für Sie

Zahlungsmethoden
PayPal (nicht Abos),
Kreditkarte,
Rechnung
weitere Infos

PayPal

Versandkostenfreie Lieferung
nach D, A, CH

in D, A, CH inkl. MwSt.
 
weitere Infos

Social Media
Besuchen Sie uns bei


www.klett-cotta.de/im-netz
Facebook Twitter YouTube
Newsletter-Abo

Klett-Cotta-Verlag

J. G. Cotta’sche Buchhandlung
Nachfolger GmbH
Rotebühlstrasse 77
70178 Stuttgart
info@klett-cotta.de