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Eine Frau bei 1000°

Roman. Aus den Memoiren der Herbjörg María Björnsson

Eine Frau bei 1000°

Roman. Aus den Memoiren der Herbjörg María Björnsson
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Leseprobe

I. BRRRAATISLAVAAAA
Tell me if you can
What makes a man a man
Charles Aznavour
1.
Ich war schon immer davon überzeugt, dass ich als Frau besser ausgesehen hätte: ein ovales Gesicht mit blasser, glatter Haut und einer kleinen Nase, kerzengerade lange und schlanke Beine, ausladende Hüften, eine schmale Taille, hellblaue Augen, blondes Haar und weiße Zähne. Die festen Arme und breiten Hände waren zwar für große Gesten gemacht, doch blieben sie bei mir allzu sanft für einen Mann. Meine sterbliche Hülle wirkte trotz ihrer beachtlichen Größe von 1 , 91 Metern fragil. Die Schultern hätten wesentlich breiter sein müssen, der Brustkorb gewölbter, das Kinn schärfer geschnitten, die Wangenknochen markanter, der Blick energischer. Auch lange Haare hätten mir gut gestanden. Ich hatte fast keine Augen brauen und kein einziges Härchen in den Achselhöhlen. Meine Brust blieb verblüffend glatt.
Schon seit frühester Kindheit musste ich mir immer wieder Sätze anhören wie »Das könnte aber auch eine hübsche Tochter sein ! « oder »Du hättest wohl ein Mädchen werden sollen?«. Noch mit neun Jahren passierte es, dass mich auf Spaziergängen mit meinen Eltern Leute ansprachen: »Na, meine Kleine, wie heißt du denn ?« Wenn mein Vater sagte, dass ich Michal heiße, entschuldigten sie sich: »Verzeihung. Du bist also ein Junge? Wirklich? So ein goldiges und niedliches Kerlchen!«
Zwischen zwölf und dreizehn nahm mein Gesicht noch weiblichere Züge an. Die Veränderung meines Aussehens hatte zur Folge, dass mich Leute, die mich zuletzt mit elf gesehen hatten, entgeistert musterten. Es stach in die Augen. Auch meine Eltern hätten das bemerken müssen. Es machte den Eindruck, als könne sich meine männliche Identität nicht in vollem Umfang entfalten. So manches Detail, das andere an mir hervorhoben, betrachtete ich als Mangel. Sogar meine eigene Stimme war für mich wie die eines Fremden, denn sie klang, auch als ich erwachsen war, noch weich und zart und wenig prägnant.
Mein eigener Körper störte mich, ja, fast quälte er mich. Als wären beide Geschlechter in mir verborgen. Ich hätte zum neutralen Geschlecht gehört, wenn es so etwas gegeben hätte.
Trotz alledem wollte ich damals diese Frau noch nicht töten. Die Frau in mir.
2.
Meine Familie stammt aus der Tschechoslowakei. Dafür kann ich nichts.
In einem so winzigen Land wurde sehr aufmerksam beobachtet, woher man kam und aus was für einer Familie. Meine Vorfahren hatten sich in der Vergangenheit ihren Lebensunterhalt in den verschiedensten Berufen verdient, waren Bauern, Gutsverwalter, Soldaten und Beamte gewesen.
Als Kind sprach ich Deutsch, auch wenn das schon damals ganz unzeitgemäß war. Mein Großvater, der Rechtsanwalt Herbert Kirchner, Jahrgang 1887 , gehörte zu den bekanntesten Homosexuellen in der Tschechoslowakei der Zeit zwischen den Kriegen. Er war in Böhmen geboren und damit österreichischer Staatsbürger. Seine Erziehung erhielt er auf Militärschulen, danach studierte er Jura. 1918 begrüßte er den Fall von Österreich-Ungarn und die Gründung einer eigenständigen Tschechoslowakei. Er tauschte die Uniformen gegen Anzüge mit englischem Schnitt aus, rasierte sich den Backenbart ab und widmete sich nun Jazz, Sport und Autos.
Mein Großvater wirkte auch mit fünfzig noch ungewöhnlich jung. Er war immer elegant gekleidet, und wenn er auf dem Weg in eins der Kaffeehäuser der Prager Altstadt den Graben entlang flanierte, schaute er den jungen Herren, die voller Sorge von den sie begleitenden Damen bewacht wurden, tief in die Augen. Er hatte hervorragende Manieren und wusste nicht nur, wie man sich korrekt benimmt, sondern war auch ein begnadeter Redner.
Mit deutschsprachigen homosexuellen Kreisen kam er vor allem im Café Continental in Kontakt, wo regelmäßig Kabarettvorführungen und Travestie-Shows stattfanden. Dort verkehrte er auch mit Männern, die ihre Orientierung sonst unterdrückten oder geheim hielten.
Herbert lebte in einer Mietwohnung in der Heinrichgasse, zwischen Pferdemarkt und Heuwaagplatz, wo er gemeinsam mit Freunden und unter Aufsicht eines Psychiaters mit Haschisch und Opium experimentierte. Er hatte einen außerordentlich gut entwickelten Sinn für Tanz und Musik, liebte das Ballett und die Oper und war mit Avantgarde-Künstlern befreundet, deren Namen mir nichts sagten. Seine Bibliothek umfasste angeblich die zweitgrößte Sammlung erotischer Literatur in Mitteleuropa.
Als erster tschechoslowakischer Rechtsanwalt forderte er die Entkriminalisierung der gleichgeschlechtlichen Liebe. Strafen für Homosexuelle wurden auf böhmischem Territorium im 18 . Jahrhundert eingeführt: Ihnen wurde der Kopf abgeschlagen und dieser dann mit dem Rest des Körpers verbrannt. Beischlaf mit einem Nichtchristen, also mit einem Juden oder Muslim, galt als erschwerender Tatbestand. Selbst bei Masturbation drohten Folter oder gar Erhängen.
Noch Ende des 19 . Jahrhunderts wurden sogenannte Sodomiten mit Haftstrafen zwischen einem und fünf Jahren bestraft, zuzüglich Auspeitschen und Zwangsarbeit. Zu Herberts Zeiten wurde man normalerweise »therapiert«, indem die Hoden entfernt wurden. Die Psychiater gaben ihren »Patienten« außerdem Brechreiz fördernde Mittel und zeigten ihnen dabei Filme mit nackten Männern. Mein Großvater legte öffentlich Protest ein.
Er war Mitbegründer der Weltliga für Sexualreformen und erwarb sich Verdienste bei der Gründung der Zeitschrift Stimme der sexuellen Minderheit . Er kämpfte gegen brutale Denunzianten, die von Schwulen Geld forderten und drohten, sie ansonsten bei der Polizei anzuzeigen. Die Verfolgung von Homosexuellen durch die Nazis lehnte er ab, doch hielt er sie für zweitrangig, verglichen mit den historischen Erfolgen, die sein Volk erreicht hatte. Als deutschsprachiger Bürger der Tschechoslowakei befand sich Herbert in einer besonders komplizierten Situation: Er war homosexuell, aber er bewunderte Hitler. Den Versailler Vertrag hielt er für ungerecht und die Kriegsreparationen für eine bodenlose Zumutung. Er begrüßte ebenfalls den Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich.
Doch nach der Besetzung der Tschechoslowakei durch die Nazis stand er auf der schwarzen Liste und wurde von der Gestapo drangsaliert.
Er wollte sich durch eine Ehe in Sicherheit bringen und suchte sich dafür eine Lesbe in ähnlicher Situation. Sie heirateten im Dezember 1938 im Prager Rathaus. Ein altes Familienfoto von jenem Tag zeigt einen großen, athletisch gebauten Mann, der sich leger auf einen Sockel aus heller Pappe stützt, eine Requisite des Fotoateliers. Dabei schaut er nicht die wunderschöne Braut an, die neben ihm steht, sondern blickt irgendwohin zur Seite und tut so, als sei er gar nicht da. Das Ehepaar Kirchner beschloss, für Nachwuchs zu sorgen, meinen Vater, und so nach außen hin den Anschein einer normalen Familie zu erwecken. Herbert glaubte, dass ihm als Deutschem, wenn er nur vorsichtig genug wäre, definitiv keine Gefahr drohte. Die Gestapo sperrte ihn dann aber trotzdem ein, in die Kleine Festung von Theresienstadt, in eine Baracke für politische Gefangene und Homosexuelle. An der Häftlingskleidung musste er den rosa Winkel tragen. Schließlich deportierten sie ihn nach Auschwitz, wo er direkt nach seiner Ankunft am Morgen des 7 . März 1943 in der Gaskammer getötet wurde.
Von ihm habe ich die blauen Augen und die hohe Stirn geerbt.
3.
Seit ich zum ersten Mal jene vergilbte, ausgeblichene Daguerreotypie meiner Großmutter gesehen habe, die vor ihrer Heirat Helena Prokopová hieß, bin ich überzeugt davon: Wäre ich als Frau auf die Welt gekommen, wäre ich mit derselben außergewöhnlichen Schönheit gesegnet worden.
Helena , eine weithin bekannte Schönheit und fortschrittliche Lesbe, stammte aus einer angesehenen Prager Familie, die vor 150 Jahren aus dem Rheinland nach Böhmen übergesiedelt war. Ihr Vater hatte es bis zum Verwaltungsratsmitglied der Tschechischen Versicherungsanstalt und zum kaiserlichen Kommerzialrat gebracht. Als Helena 1897 geboren wurde, hatte Prag 300 000 Einwohner, auf einen Deutschen kamen vier Tschechen. Sie wuchs in Wohlstand auf, ging auf die deutsche Volksschule an der Ecke Graben und Herrengasse, die von Kindern jüdischer und einiger protestantischer Familien besucht wurde, und sprach Kuchelböhmisch , eine verbreitete Mischung aus Deutsch und Tschechisch.
Die grünäugige Helena mit den markanten Wangenknochen und der bis zur Pubertät jungenhaften Figur wirkte in der Prager Szene schockierend schön. Mit fünfzehn begann sie, ausschließlich Männerkleidung zu tragen, sie hatte einen Pagenschnitt , liebte die Frauen und trank ausschweifend. Sie war leidenschaftliche Autofahrerin und bekam als allererste Pragerin ein Strafmandat wegen Geschwindigkeitsüberschreitung. Außerdem experimentierte sie mit Drogen, insbesondere mit Morphium.
Helena hatte, seit sie sechzehn war, eine eigene Wohnung in der Theyngasse , drei gemütliche und ruhige Zimmer im ersten Stock. Trotz der herrschenden Verhältnisse ging sie offen und auch verdeckt erotische Beziehungen zu Frauen ein. Sie schrieb sich am Institut für Germanistik der Karlsuniversität ein, doch die Vorlesungen besuchte sie nur gelegentlich, und ihr Studium schloss sie auch nicht ab. Sie ging lieber in den Verein deutscher Künstler in Böhmen, der seine Zusammenkünfte in der Regel im Deutschen (später Slawischen) Haus abhielt, wo sie ab und zu samtig, aber angeblich ein wenig falsch Chansons zum Besten gab. Weitere regelmäßige Szene-Veranstaltungen fanden im Tanzklub Batex statt, wo auch Begegnungen auf Inserate hin organisiert wurden, die in der Zeitschrift Stimme der sexuellen Minderheit veröffentlicht wurden. Helena verbrachte so manche Nacht im Café Louvre in der Nationalstraße und in einem Lokal namens Casino. Ihre Schönheit begeisterte, für die Prager Bohème wurde sie zur Muse.
Als leidenschaftliche Touristin absolvierte sie weite Reisen mit dem Auto. Sie besuchte Persien, den Irak, Afrika, die USA , das Baltikum und die Sowjetunion. Mit ihrer Leica machte sie unermüdlich Schnappschüsse von ihren Freundinnen, vor allem aber von sich selbst.
Nach dem Münchener Abkommen war Prag für Helena nicht mehr sicher. Sie fühlte sich bedroht, wollte emigrieren, aber Geschäftemacher boten Visa nur gegen unverschämt hohe Geldbeträge an. Helena musste sogar beim Autofahren umlernen, denn nach dem Einmarsch der Deutschen wurde von Links- auf Rechtsverkehr umgestellt. Einige Tage nach der Ausrufung des Protektorats Böhmen und Mähren wurde sie festgenommen. Dank einer Bestechung durch ihren Vater wurde sie für kurze Zeit wieder aus dem Gefängnis Prag-Pankrác entlassen, doch ihr Pass wurde ihr abgenommen.
Ein Jahr später landete sie wegen »undeutscher Umtriebe« erneut hinter Gittern. In Theresienstadt wurde sie Zeitschriftenredakteurin und nahm an musikalischen Aktivitäten teil. Das genaue Datum ihres Todes im Konzentrationslager Ravensbrück, wohin man sie deportiert hatte, ist nicht bekannt.
Verwandte behaupten, dass ich ihr vor allem durch meinen großen sinnlichen Mund ähnlich sehe.

Tropen übersetzt von Mirko Kraetsch
1. Aufl. 2009, 250 Seiten, Gebunden
ISBN: 978-3-608-50102-5
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Michal Hvorecky

Michal Hvorecky, geboren 1976, lebt in Bratislava. Auf Deutsch erschienen bereits drei seiner Romane und eine Novelle. Hvorecky verfasst regelmäßig ...

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