Das Zeitalter der Keltenfürsten

Eine europäische Hochkultur

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Eine neuartige Deutung der frühen Kelten in Mitteleuropa als Hoch- und Stadtkultur

Martin Kuckenburg stellt in seinem Werk erstmals die eigenständige kulturelle und gesellschaftliche Leistung dieses rätselhaften Volkes in den Mittelpunkt. In seiner packenden Gesamtschau bewertet er die Neufunde der frühkeltischen Hochkultur auf innovative Art und Weise.
Spätestens seit der Bergung des Fürstengrabs von Hochdorf im Jahr 1978 entdeckt Deutschland »seine« Kelten. Und die Archäologie fördert beständig neue, oft sensationelle Funde ans Licht,wie die 1996 geborgene, lebensgroße Kriegerstatue vom hessischen Glauberg.

Martin Kuckenburgs große Gesamtdarstellung der frühen Keltenzeit zwischen dem 8. und 3. Jahrhundert vor Christus räumt auf mit dem Klischee der kulturellen Rückständigkeit gegenüber Griechenland und Rom. Anhand neuester Funde und Ausgrabungen entsteht das Bild einer ausdifferenzierten, hoch entwickelten Gesellschaft mit prunkvollen Fürstensitzen umgeben von großen stadtartigen Siedlungen, mit umfangreichen Wirtschaftsbeziehungen in den Mittelmeerraum und mit einer faszinierenden, eigenständigen Kunst.

Martin Kuckenburg zeigt, dass sich diese erste Hochkultur Mitteleuropas durchaus auf Augenhöhe befand mit den entstehenden Hochkulturen Griechenlands und Roms.

Zum Audio-Interview mit dem Autor (blog.klett-cotta.de)

Inhaltsverzeichnis

EINLEITUNG
Die Kelten kommen! Über die neue Popularität einer alten Kultur 9
1. KAPITEL Eine bewegte Epoche - der westliche Mittelmeerraum vom 8. bis 5. Jahrhundert v.Chr. 13
2. KAPITEL Die frühen Kelten in Mitteleuropa 19
3. KAPITEL Die Entdeckung der Fürstenkultur 28
4. KAPITEL Die Heuneburg - Paradebeispiel eines Fürstensitzes 35
5. KAPITEL Forschungskontroversen 47
6. KAPITEL Fürstengräber - Herrscher im Ornat 59
7. KAPITEL Fürstengräber - Aristokratischer Lebensstil 76
8. KAPITEL Feudalherren, Fürsten, Könige? 100
9. KAPITEL Sippenälteste, Big Men , Häuptlinge? 111
10. KAPITEL Königsgräber in antiken Kulturen 129
11. KAPITEL Herrschaftsstrukturen 141
12. KAPITEL Südimport und Wasserwege - der Fernhandel mit dem Mittelmeerraum 156
13. KAPITEL Zinn und Politik - Die Wege eines antiken Rohstoffs 173
14. KAPITEL Griechische Händler im keltischen Mitteleuropa? 184
15. KAPITEL Die Fürstensitze als Gewerbezentren und zentrale Orte 202
16. KAPITEL Die Heuneburg - älteste Stadt Mitteleuropas? 214
17. KAPITEL Ein Ahnenheiligtum am Glauberg und ein Palast auf dem Mont Lassois 227
18. KAPITEL Eine importierte Hochkultur? 240
19. KAPITEL Die Geburt der keltischen Kunst 249
20. KAPITEL Das Ende der Fürstensitze und der Anbruch einer neuen Ära 259
Anmerkungen 267
Auswahlbibliographie 300
Karten- und Bildnachweis 309
Dank 310
Register 311

Leseprobe

Imposante Mannsbilder
Sollte es sich bei den Keltenfürsten Mitteleuropas womöglich gleichfalls um eine solche dem Luxus und Wohlleben ergebene ›Symposionsaristokratie‹ gehandelt haben, könnte man provozierend fragen. Die elfenbeinernen Sphingen, der Fächergriff und die mit filigranen Intarsienmustern geschmückte Kline aus dem Grafenbühl (vgl. Kap. 3 und S. 88), in dessen Zentralkammer keineswegs eine Frau, sondern ein etwa 30-jähriger Mann bestattet war, könnten durchaus diesen Eindruck vermitteln, zeugen sie doch von einem raffinierten und wohl nicht zufällig orientalisch angehauchten Lebensstil, der nur schlecht zum Bild eines raubeinigen Kriegeradels passt, wie es etwa Peschel entwarf.
Der inmitten dieses orientalischen Prunks bestattete Tote war freilich kein zierlicher Hänfling, sondern ein stattliches Mannsbild von über 1,80 Metern Größe, und eine noch imposantere Statur besaß der Fürst aus dem ungefähr 50 Jahre älteren Hochdorfer Grab. Seine Körpergröße von 1,87 Metern »übersteigt die errechnete Durchschnittsgröße für die männliche Bevölkerung im späthallstattzeitlichen Württemberg um 15 Zentimeter und ist der bisher höchste nachgewiesene Wert für diese Population«, wie Dirk Krausse anmerkt - die zahlreichen im Magdalenenberg bei Villingen bestatteten Männer wurden im Durchschnitt nur 1,68 Meter groß. Beide Fürsten ragten also nach Krausses Worten bereits rein körperlich »aus der Masse der damaligen Bevölkerung heraus«, und die »kräftig ausgebildeten Muskelansätze an den Extremitätenknochen« des Hochdorfer Toten »runden das Bild eines auffallend großen und kräftigen Mannes ab«.
Nun ist es eine in der Anthropologie altbekannte Tatsache, dass die Angehörigen der sozialen Oberschicht in vielen Geschichtsepochen und Kulturen höher gewachsen waren und auch geringere körperliche Defekte aufwiesen als ihre weniger begünstigten Zeitgenossen. Viele verschiedene Faktoren spielen bei diesem von der Antike bis in unsere Zeit zu beobachtenden Phänomen eine Rolle, beispielsweise weniger Mangelerkrankungen in der Kindheit, eine qualitätvollere Ernährung und eine sehr viel geringere Belastung durch zermürbende körperliche Arbeit. Ein Leben allein auf der Bronzecouch mit dem Trinkhorn in der Hand hätte dem Hochdorfer Fürsten aber wohl kaum zu seiner imposanten Schulterbreite verholfen, die nach Krausse »3 Zentimeter über den Maximalwerten der männlichen Bevölkerung Südwestdeutschlands« lag. 41 Der Adelsherr muss seinen Körper vielmehr im Laufe seines Lebens auf irgendeine Weise intensiv trainiert haben, und wenn dies nicht durch schwere körperliche Arbeit oder durch eine Inanspruchnahme als Krieger geschah, so stellt sich die Frage, welche Tätigkeiten dafür sonst in Frage kamen. [...]
7. Kapitel
Ein fürstlicher Jäger?
Eine mögliche Antwort darauf könnte ein Köcher mit 14 Pfeilspitzen aus Eisen und Bronze geben, den die Archäologen im Brustbereich des Hochdorfer Toten fanden - ursprünglich hatte er an der Rückenlehne der Bronzebank direkt über dem Leichnam gehangen. Ein ähnlicher Köcher mit 51 Eisenpfeilspitzen ist auch aus einem reichen Nebengrab des Hohmichele bei der Heuneburg bekannt, und ein Männergrab im Magdalenenberg bei Villingen enthielt gleichfalls einen bronzenen Köcherbeschlag nebst einem Bündel Pfeile. Vor allem aber kam ein solcher Köcher mit drei Eisenpfeilspitzen sowie ein Rest des dazugehörigen Holz bogens in dem 1994 geborgenen Grab des ›Keltenfürsten von Glauberg‹ zutage. Beim Einsatz der Bogenwaffe in frühkeltischer Zeit sei generell »eher an die Jagd als an kriegerische Auseinandersetzungen zu denken«, schrieb die Archäologin Gabriele Weber-Jenisch 1999 zu dem Fund aus dem Magdalenenberg, und auch Biel möchte die Hochdorfer Pfeile nicht als Kriegswaffen, sondern vielmehr als »Jagdgeräte« deuten.
In dieser Interpretation bestärkten den Archäologen nicht zuletzt drei eiserne Angelhaken, die sein Team zusammen mit einem kleinen Nagelschneider in einem Täschchen auf der Brust des toten Fürsten fand - nach ihrer Länge von 4 bis 5 Zentimetern zu urteilen waren sie »für recht große Fische bestimmt«. Biel schloss aus diesem für ein Hallstattgrab außergewöhnlichen Angelgerät und den etwas geläufigeren Pfeilen, dass der Hochdorfer Fürst ein »passionierter Jäger und Angler« gewesen sei, in dessen Leben »Jagd und Fischfang eine große Rolle spielten«. Biel dachte dabei an eine »persönliche Vorliebe« des Bestatteten 43 , doch bekanntlich waren Jagd und Fischfang in der Feudalgesellschaft des Mittelalters wie auch in vielen anderen Kulturen wichtige herrschaftliche Privilegien und Statussymbole. Ihre große Bedeutung zeigt sich noch heute in der fundamentalen Rolle, die das Jagen, Reiten und Fischen für den englischen Landadel spielt, und in den heftigen Auseinandersetzungen um die alljährliche Fuchsjagd des britischen Königshauses. Ludwig Pauli erwog deshalb bereits 1989, ob »die Jagd nicht vielleicht schon in der Hallstattzeit auch ohne geschriebenes Recht der Oberschicht vorbehalten war«, und auch Dirk Krausse hat in jüngster Zeit immer wieder hervorgehoben, wie sehr das Waidwerk zu jenen charakteristischen Tätigkeiten und Zerstreuungen gehörte, »die für die zeitgleichen Aristokratien zwischen Persien und dem Situlenkreis typisch und standesgemäß waren«.
Im Hinblick auf die Nahrungsversorgung spielte die Jagd in den Eisenzeitkulturen des 1. Jahrtausends v. Chr. kaum mehr eine wesentliche Rolle , doch umso größer war ihr Statuswert, denn »Erfolge im Kampf und auf der Jagd sind in allen traditionellen Kulturen extrem prestigeträchtig und unterstreichen das charismatische Heldentum politischer Anführer«, so Krausse. Zahllose Bilddarstellungen vom Alten Orient bis ins kaiserzeitliche Rom porträtierten daher die Herrscher als begnadete Löwen- oder Wildrindjäger, und nach Strabon soll die Inschrift auf dem Grabmal des Perserkönigs Dareios gelautet haben: »Freund war ich den Freunden, der beste Reiter und Bogenschütze, gewaltig als Jäger; zu tun vermocht' ich alles« ( Geographie 15,3,8). Die Jagd als »Akt der Selbstbehauptung und Gewaltausübung, gleichsam als Kriegsersatz in Friedenszeiten« prägte nach den Worten des Historikers Stefan Hiller aber auch die »typisch mykenische Freude an Jagddarstellungen«, und auch im antiken Thrakien waren nach Krausse »Raubvogel- und Trinkhornattribute Mittel der fürstlichen Selbstdarstellung und standen für den bevorzugten Zeitvertreib der thrakischen und der iranisch-persischen Aristokratie, nämlich die Jagd und das Gelage«.
Auch acht der neun Trinkhörner im Grab von Hochdorf waren ja aus den Hornscheiden von Auerochsen gefertigt, eines »äußerst gefährlichen Jagdtiers« 47 , und der Hochdorfer Fürst wurde zudem auf Dachsfelle gebettet, die neben ihrem reinen Nutzwert durchaus auch Jagdtrophäen gewesen sein könnten. Zusammen mit den erwähnten Pfeilen und Angelhaken wiesen sie nach Krausse symbolhaft auf »das Charisma des Bestatteten als Jäger« hin, und Biel betont ganz generell die »wichtige Rolle«, die »Fleisch - wahrscheinlich auch das größerer Jagdtiere - beim Mahl spielte«. 48 Stellt man all diese Indizien in Rechnung, so erscheint es doch sehr wahrscheinlich, dass die Keltenfürsten ähnlich wie zahllose andere Aristokraten und Herrscher der Antike und des Mittelalters der Jagd als standesgemäßer Betätigung frönten und sich deshalb auch in ihrer Standesikonographie ganz bewusst als große Jäger präsentierten.
Waffenspiele
Noch eine weitere für den antiken Adel charakteristische Betätigung könnte in ihrem Leben eine Rolle gespielt und zu der robusten Statur des Hochdorfer Fürsten beigetragen haben. Auf der Rückenlehne seiner Bronzecouch war neben der beschriebenen Wagenszene (vgl. S. 79) nämlich ein weiteres Bildmotiv eingepunzt, das einander gegenüberstehende Männer in nach hinten geneigter Körperhaltung mit einem Schwert in der linken und einem hantelartigen Gegenstand in der rechten Hand zeigt (Abb. 23). Karl Peschel sah in diesem Motiv eine Darstellung von »Kampfspielen«, die »das gemeinschaftliche Mahl umrahmt« und »zum Ritual des Männerbundes« gehört hätten. Er zitierte in diesem Zusammenhang den antiken Autor Poseidonios, nach dessen Bericht sich die latènezeitlichen Kelten oftmals »in Waffen versammelten« und »beim Mahl gelegentlich Zweikämpfe veranstalteten, die bis zum Totschlag gehen konnten, wenn nicht die Umstehenden sie zurückhielten« ( Historien, nach Athenaios 4,40).
Der graziösen Körperhaltung der Hochdorfer Schwertträger nach zu urteilen könnte es sich aber auch um eine Art von spielerischem ›Schwerttanz‹ gehandelt haben, wie ihn Tacitus für die Germanen des 1. Jahrhunderts n. Chr. beschrieb. Dem römischen Historiker zufolge verlief »diese Art von Schaustellungen bei jeder festlichen Zusammenkunft in derselben Weise: Nur wenig bekleidete Jünglinge, für die das ein sportliches Vergnügen ist, werfen sich in tanzartigen Sprüngen zwischen gezückte Schwerter und drohend erhobene Speere«; »die lange Übung hat dabei zu einer gewissen Gewandtheit und Anmut geführt« und »das Vergnügen der Zuschauer ist der Lohn für ihre spielerische Freude« ( Germania 24). Auch in der südostalpinen Situlenkunst sind mehrfach sportliche Übungen und Wettkämpfe solcher Art abgebildet, bei denen nicht selten große Metallgefäße als Siegespreis zwischen den Teilnehmern stehen. In einigen Fällen tragen letztere sogar ganz ähnliche ›Hanteln‹ in ihren Händen wie die Schwerttänzer auf der Hochdorfer Couch.
Alle diese Indizien zusammengenommen könnten durchaus darauf hindeuten, dass das Sozialprestige der frühkeltischen Fürsten mehr auf statusträchtigen Tätigkeiten wie der Jagd, dem sportlichen Wettkampf (agon) oder dem gemeinschaftlichen Bankett beruhte als auf militärischem Ruhm als Krieger. Die Hallstattaristokratie Mitteleuropas hätte damit wie ihre griechischen und etruskischen Standesgenossen ein sehr viel ›zivileres‹ und kultivierteres Image gepflegt als ihre mehr auf Waffenruhm bedachten Urgroßeltern und Urenkel in den Jahrhunderten zuvor und danach. Daraus lässt sich freilich nicht unbedingt schließen, dass auch das Alltagsleben im 6. Jahrhundert v.Chr. stets in friedlichen Bahnen verlief und dass die Fürstenepoche ein ›goldenes Zeitalter‹ des Friedens war. Gegen eine solche Annahme sprechen nicht nur die zweifelsfrei als Kriegswaffen zu deutenden Lanzenspitzen in vielen hallstättischen Männergräbern, sondern auch die erwähnten Brandschichten auf der Heuneburg (vgl. Kap. 4), die sicherlich nicht nur von Schadfeuern stammten, sondern den Schluss nahelegen, dass es auch weiterhin blutige Kämpfe und Kriege gab. Die Fürstengräber dürften in diesem Punkt also weniger die gesellschaftliche Realität als vielmehr das Selbstverständnis der herrschenden Aristokratie widerspiegeln, das in der Tat stärker durch ›zivile‹ Zerstreuungen und sportliches Kräftemessen geprägt gewesen sein könnte als durch kriegerischen Ruhm. Man definierte sich als soziale Gruppe gewissermaßen nicht mehr vorrangig durch das Schwert, und dennoch mag man es im Alltag nicht selten benutzt haben.
Eine Zwischenbilanz
Wenn wir das in den letzten beiden Kapiteln gesichtete Material noch einmal überblicken, so waren die Prunkgräber der Späthallstattzeit geradezu überladen mit Statussymbolen und liefern eine Fülle von Informationen und faszinierenden Details über die in ihnen bestatteten Keltenfürsten. Vor allem das unberaubte und vorbildlich untersuchte Hochdorfer Grab zeigt nach Biels Worten »so viele abweichende Besonderheiten, daß hier sicherlich auch persönliche Eigenschaften und Vorlieben durchscheinen«. Diese Details »verdichten sich«, wie Dirk Krausse bemerkt, in der archäologischen Zusammenschau »zu einer historischen ›Momentaufnahme‹, vor deren Hintergrund man die Persönlichkeit des Bestatteten erahnen zu können glaubt. Das Grab liefert Hinweise auf sein physisches Erscheinungsbild, seinen ›Lebensstil‹, den Kreis seiner Vertrauten, sein gesellschaftliches Wirken etc. «
Zwar vermochten die meisten anderen Fürstengräber aufgrund der antiken Beraubung oder der unzureichenden Untersuchung keine vergleichbar präzisen und detaillierten Persönlichkeitsbilder zu geben, doch vermitteln auch sie mit ihren singulären Grabschätzen und ihren immer wiederkehrenden ›Standardbeigaben‹ eine anschauliche Vorstellung vom Sozialprestige, von den Statuswerten und den standesüblichen Betätigungen der Keltenfürsten. Alle diese Mosaiksteinchen zusammen ermöglichen eine zumindest annähernde Rekonstruktion ihres sozialen Profils, das in bemerkenswerter Weise mit demjenigen der aristokratischen Eliten anderer antiker Kulturen - sei es in Griechenland, Thrakien, Etrurien oder im Vorderen Orient - übereinstimmt. Die Mittel, um die eigene soziale Überlegenheit zu demonstrieren und sich »den Stammesgenossen gegenüber unnahbar in Respekt zu setzen«, waren dabei nach Georg Kossack stets die Gleichen: »Aufwendiges Zeremoniell bei feierlichem Anlaß, Prozession mit Pferd und Wagen, ›ewiges Gelage‹ mit vornehmen Trinksitten, kostbare Kleidung und edles Material als Hinweis auf die Möglichkeit, Reichtum zu erwerben und zu verteilen«.
Die Einsicht, dass dieser aristokratische Statuscode keineswegs eine frühkeltische Besonderheit, sondern in der antiken Welt fast universell verbreitet war und nur in seinen Details und der unterschiedlichen Gewichtung der einzelnen Elemente von Kultur zu Kultur variierte, ist für sich genommen bereits ein wichtiges Resultat. 53 Es verdeutlicht kaum weniger eindrucksvoll als die hallstattzeitlichen Südimporte oder die Lehmziegelmauer der Heuneburg (vgl. Kap. 3/4), dass die frühen Kelten kein abgeschiedenes Nischendasein fernab der anderen antiken Kulturen führten, sondern dass sie sehr wirksam in ein überregionales, vom Vorderen Orient bis nach Westeuropa reichendes kulturelles Netzwerk zum Austausch von Gebräuchen und Ideen eingebunden waren.
Gerade diese Universalität des aristokratischen Codes macht es aber auch schwer, die genaue gesellschaftliche Position der Keltenfürsten zu erschließen, denn im Alten Orient waren es individuelle Herrscher und Könige, in Griechenland und Etrurien hingegen Angehörige einer breiteren Aristokratie, die mit den beschriebenen Macht- und Statussymbolen beigesetzt wurden. Wo genau innerhalb dieses breiten Spektrums vom Einzelherrscher zur Oligarchie sind die Keltenfürsten also einzuordnen, und gibt es über die Grabausstattungen hinaus weitere Anhaltspunkte für eine präzisere Bestimmung ihrer gesellschaftlichen Funktion? Die Meinungen über diese Fragen gehen, wie wir bereits sahen, weit auseinander (vgl. Kap. 5), und deshalb wollen wir, ausgerüstet mit dem neu gewonnenen Wissen über die Fürstengräber, noch einmal zu der Debatte über die Interpretation der frühkeltischen Gesellschaft zurückkehren, die seit etwa 1990 zwischen den ›Traditionalisten‹ in Kimmigs Fußstapfen und den ›Opponenten‹ um Manfred Eggert wogt. [...]
11. KAPITEL
Herrschaftsstrukturen
Der summarische Überblick hat vor allem gezeigt, wie unterschiedlich gestaltet und ausgestattet historische Königsgräber der Antike und des Frühmittelalters sein konnten. Einige der beschriebenen Grablegen quollen fast über vor Gold-und Silberschätzen, während andere keine oder nur wenige Beigaben aus Edelmetall enthielten. In einigen präsentierten die Bestatteten sich als waffenstarrende Krieger und durch die gewaltsame Tötung ihrer Dienerschaft auch als Herren über Leben und Tod, während die Monarchen in anderen Gräbern eher als Gastgeber großen Stils und als Liebhaber von Kunst und Kultur stilisiert waren. Diese Vielfalt, die durchaus auch bei unterschiedlichen Mitgliedern ein- und desselben Herrscherhauses auftreten konnte, entkräftet die bisweilen geäußerte Ansicht, die ›individuelle‹ Gestaltung der frühkeltischen Fürstengräber spreche grundsätzlich gegen ihre Deutung als Herrscherbestattungen (vgl. Kap. 9).
Keltengräber wie die von Hochdorf, Vix oder vom Glauberg können sich in ihrer zwar imposanten, aber unverkennnbar noch archaischen Gestaltung und im Wert ihrer Beigaben sicher nicht mit den architektonisch raffiniert gestalteten Kuppelgräbern von Mykene oder den von erlesenem Goldschmuck nur so strotzenden Schachtgräbern der frühgriechischen Burganlage messen. Eher schon vergleichbar erscheinen das ›Midasgrab‹ von Gordion und das mutmaßliche Grab des Skythenkönigs Oktamasades von Solocha, die zwar deutlich prachtvoller und üppiger ausgestattet waren als selbst die herausragendsten mitteleuropäischen Fürstengräber, aber unverkennbar ähnliche Beigabenarten enthielten, nämlich repräsentative Totenbetten, kostbaren Körper- und Gewandschmuck sowie umfangreiche Metallgeschirrensembles.
Vor allem die zuletzt genannte Beigabenkategorie verdient unser besonderes Interesse, denn eine über die persönlichen Bedürfnisse des Toten hinausgehende Gefäßausstattung kam in fast allen von uns betrachteten historischen Königsgräbern vor und scheint somit ein besonderes Kennzeichen antiker Herrscherbestattungen zu sein. Mühelos ließen sich weitere Beispiele anführen. So enthielt das erwähnte Schiffsgrab von Sutton Hoo neben vielerlei anderen erlesenen Beigaben insgesamt 43 Grabgefäße, darunter drei große Bronzekessel, zehn Silberschalen und acht Holzbecher, die wohl für das Tafeln mit Bankettgästen bestimmt waren. Und ein 1912 bei Malaja Perescepina in der Ukraine entdeckter Goldschatz von über 25 Kilogramm Gewicht, der wahrscheinlich aus dem Grab eines um 650 n. Chr. verstorbenen Bulgarenkönigs (= Khans) namens Kuvrat stammt, umfasste neben edlem Körperschmuck und Prunkwaffen auch eine »höfische Bankettausstattung« aus drei Edelmetallkannen sowie elf Gold- und zehn Silberkelchen »zur Bewirtung von mindestens 21 Personen«.
Das häufige Vorkommen und die offenkundige Wichtigkeit solcher Bankettausstattungen nähren den Verdacht, dass ihre Bedeutung über die erwähnte allgemeine Vorliebe der Aristokratie für Ess- und Trinkgelage hinausging und dass sie in den Königsgräbern eine geradezu herrschaftskonstituierende Rolle spielten. Es ist ja auffallend, dass markante, unmittelbar erkennbare Herrschaftsinsignien wie das mittelalterliche Zepter oder die Königskrone in den meisten der von uns betrachteten antiken Herrschergräber fehlten 2 , und so könnten neben Kleidungsstücken und Goldschmuck (vgl. Kap. 6) durchaus auch solche repräsentativen Geschirrsätze zur Verköstigung einer umfangreicheren Gefolgschaft als zentrales Herrschaftszeichen fungiert haben. Vielleicht ist von dem legendären Britannierkönig Artus nicht zufällig gerade seine sagenhafte Tafelrunde in sprichwörtlicher Erinnerung geblieben. Der über 50 Meter hohe Midas Mound mit seinen 169 Metallgefäßen, aber keiner einzigen Beigabe aus Edelmetall, nimmt sich vor diesem Hintergrund wie eine ins Gigantische übersteigerte Version des Grabes von Hochdorf mit seinen zusammen 23 Ess- und Trinkgefäßen aus, und da in ihm der Herrscher eines antiken Reiches beigesetzt war, wäre eine quantitativ entsprechend bescheidenere Ausstattung im Grab eines ›barbarischen‹ Kleinkönigs durchaus vorstellbar. Es erstaunt daher nicht, dass unter den präsentierten historischen Herrschergräbern gerade das zuletzt beschriebene des Prittlewood Prince aus Essex den hallstättischen Spitzenbestattungen am nächsten kommt, stammt es doch von solch einem historischen Kleinkönig.
Bankettpolitik
Mit der in den Königsgräbern so präsenten Bankettpolitik hat sich in den 1990er Jahren der Prähistoriker Michael Dietler ausführlich beschäftigt. Ihm zufolge lassen sich in der Völkerkunde zwei unterschiedliche Formen großer Bankette und Verteilungsfeste unterscheiden, nämlich das Ermächtigungs- oder Sponsorenfest und das Herrscherfest. Bei ersterem, das wir schon im Zusammenhang mit den melanesischen Big Men kurz gestreift haben (vgl. Kap. 9), versuchte ein wohl habender, aber politisch nicht über seinen Stammesgenossen stehender Mann, durch großzügige öffentliche Banketteinladungen und Bewirtungen möglichst viel an informellen Einfluss, Macht und Prestige zu gewinnen und sich auf diese Weise »einen Namen zu machen«. 3 Dieser Zielsetzung entsprechend fanden die Feste meist in breiterem öffentlichem Rahmen und in einer eher zwanglosen, lockeren Atmosphäre statt. Ein mögliches Beispiel aus der antiken keltischen Geschichte für ein solches ›Prestigegewinnungsfest‹ lieferte der griechische Geschichtsschreiber Poseidonios mit seinem Bericht über einen reichen Gallier namens Luernios, der im 2. oder 3. Jahrhundert v.Chr. »eine viereckige Umzäunung von zwölf Stadien Umfang abstecken ließ, in der er Fässer voller erlesener Getränke und eine solche Menge an Speisen aufstellen ließ, dass mehrere Tage lang jeder, der wollte, hineingehen und von den bereitgestellten Köstlichkeiten genießen konnte«. Zweck der ganzen Veranstaltung war es nach Poseidonios, »die Gunst des Volkes zu gewinnen« (Poseidonios 23 bei Athenaios 4,37).
Häuptlinge oder Könige mussten sich ihr hohes Ansehen dagegen nicht erst mühsam erringen, sondern verfügten bereits kraft ihres Amtes darüber. Das Herrscherfest diente ihnen deshalb nach Dietler vor allem dazu, die schon »institutionalisierten Machtbeziehungen auf symbolische Weise zu festigen und zu legitimieren«. Eine deutlich sichtbare Banketthierarchie mit vom Häuptling oder König selbst festgelegter Etikette und strengen Verhaltensvorschriften spielte daher bei diesem Banketttyp eine sehr viel größere Rolle als beim Sponsorenfest, ja, sie stellte geradezu den sozialen und politischen Kern des ganzen Rituals dar. »Feste sind ein erstklassiges politisches Instrument«, wie Dietler hervorhebt, 4 denn mit der Sitzordnung und Gruppierung der Gäste, der Reihenfolge ihrer Bewirtung und der unterschiedlichen Qualität ihres Geschirrs und ihrer Speisen wurde symbolisch festgeschrieben, welchen Rang und Wert der Gastgeber jedem einzelnen von ihnen zumaß, und auf diese Weise wurden die sozialen und politischen Rollen innerhalb der Hierarchie bestätigt und gegebenenfalls auch neu verteilt (vgl. Kap. 7).
Hallstättische Banketthierarchie
Wie die Innsbrucker Althistoriker Christoph Ulf (vgl. Kap. 9) und Erich Kistler kürzlich an frühgriechischen Beispielen herausgearbeitet haben, lässt sich dieser grundsätzliche Unterschied in der Durchführung und politischen Nutzung von Festmahlen unter Umständen auch im archäologischen Material erkennen. 5 Betrachtet man die Befunde der frühkeltischen Fürstengräber unter diesem Gesichtspunkt, so weist allein schon die Kostbarkeit des in ihnen deponierten Metallgeschirrs und seine in bestimmten Grundzügen genormte Zusammenset zung auf die große Bedeutung und erhebliche Formalisierung der Ess- und Trinksitten innerhalb der frühkeltischen Oberschicht hin. In jenen Prunkgräbern, die Geschirrsätze für mehrere Personen enthielten, scheint es sich entweder um ein zusätzliches Service für den Ehepartner oder um eine größere Anzahl von Gefäßen für einen zahlenmäßig fest umrissenen Personenkreis gehandelt zu haben, nicht dagegen um die Ausstattung für ein großes öffentliches Bankett. In dem erwähnten Grab von Kappel am Rhein standen beispielsweise elf Rippenzisten und im Tumulus von Corminboeuf in der Schweiz 19 Bronzeschalen zur Bewirtung einer entsprechenden Zahl von Gästen zur Verfügung 6 , während im Hochdorfer Grab die neun Trinkhörner und neun Bronzeteller offenkundig für eine neunköpfige Tafelrunde bestimmt waren. Das überdimensionale Trinkhorn des Grabherrn brachte dabei, wie schon erwähnt, das Vorhandensein einer formellen Banketthierarchie deutlich zum Ausdruck (vgl. Kap. 7).
Auch die Hochdorfer Bronzeteller weisen, bei fast identischer Größe und Machart, in den Details ihrer Randverzierung Unterschiede auf, die den französischen Archäologen Stéphane Verger zu der Vermutung veranlassten, es habe sich nach dem Motto »jedem Gast sein eigenes Tellerchen« um Identifikationssymbole gehandelt, mit denen die einzelnen Essschalen jeweils bestimmten Bankettteilnehmern bzw. Rängen zugeordnet wurden. Ob dies nun so war oder nicht, sicher scheint die Bestimmung des Hochdorfer Grabgeschirrs für eine Tafelrunde mit fester Zusammensetzung und vermutlich auch feststehender Rollenverteilung, wie sie weniger für um breites öffentliches Ansehen werbende Volkstribunen oder Big Men als vielmehr für bereits im Amt befindliche Häuptlinge oder Könige charakteristisch ist.
Erinnern wir uns in diesem Zusammenhang noch einmal an den Midas Mound mit seiner als Festsaal ausstaffierten Grabkammer und seiner Überfülle an Grabgefäßen (vgl. Kap. 10 und Abb. 27). »In der königlichen Ikonographie des Alten Orients diente das Bankett dazu, den Souverän ins rechte Licht zu rücken«, wie der französische Prähistoriker Bernard Bouloumié hervorhebt. »Er versammelt seine Vassallen um sich, um ihnen gegenüber seinen Reichtum zu zelebrieren und um sie an seiner Autorität teilhaben zu lassen«. Wenn man in einem antiken Grab auf »ein vollständiges Gefäßservice für ein gemeinschaftliches Bankett« stößt, habe man es daher auch in Mitteleuropa »mit einem Häuptling allerersten Ranges zu tun, und um die Dinge klar beim Namen zu nennen, möchte ich in diesem Fall von einem Königsgrab sprechen«, so Bouloumié weiter. Nach der Überzeugung des Forschers waren es nämlich gerade diese mit einem großen Flüssigkeitsbehälter und einem umfangreichen Bankettservice ausgestatteten Prunkgräber, »die die Fürsten von ihren Gefolgsleuten unterschieden. Denn der fürstliche Gastgeber, der seine Standesgenossen oder Untergebenen empfängt, ist der Organisator des Banketts, und in seiner Residenz findet die Zeremonie statt, die eine politische Funktion hatte«.
Geht man von der Zusammensetzung und Qualität der Grabinventare aus, so wäre eine Interpretation zumindest der reichsten frühkeltischen Fürstengräber als Bestattungen ›barbarischer‹ Kleinkönige also durchaus möglich. Doch ist dabei eher an ein noch vorwiegend individuell geprägtes und in permanentem Konkurrenzkampf befindliches Herrschertum zu denken, wie Schier, Burmeister und andere heutige Prähistoriker dies tun (vgl. Kap. 9), oder lässt sich bereits eine Weitervererbung der Macht innerhalb bestimmter Herrscherfamilien vermuten, wie Kimmig und Zürn sie in ihrem Dynastenmodell ganz selbstverständlich annahmen (vgl. Kap. 8)? Diese Frage lässt sich ohne das Vorhandensein von Schriftquellen und Herrscherlisten, wie sie in historischer Zeit gewöhnlich zur Verfügung stehen, nur schwer klären, und doch liefert das archäologische Material eine Reihe von Indizien, die als Anhaltspunkte für eine zumindest provisorische Antwort dienen können.
Goldhalsringe und Erblichkeit
So verweist Sabine Rieckhoff auf den Umstand, dass das wichtigste Standessymbol der Keltenfürsten - der goldene Halsreif - von seinen Trägern offenkundig nicht wie die Königszepter und -kronen des Mittelalters an einen Amtsnachfolger weitergegeben wurde, sondern ihnen ins Grab folgte und dabei manchmal sogar zerstört wurde (vgl. Kap. 6). Die Prähistorikerin wertet dies als Indiz dafür, dass die Hallstattherren noch kein erbliches Herrscheramt ausgeübt hätten, sondern aufgrund ihrer individuellen Leistungen und Verdienste in die entsprechenden Führungspositionen gelangt seien.
Diese Argumentation ist scharfsinnig, aber keineswegs zwingend, da wir wie erwähnt nicht wissen, ob die Goldhalsreifen wirklich echte Herrschaftsinsignien waren oder vielleicht doch nur allgemeine Rangabzeichen und Tracht Bestandteile des frühkeltischen Adels ähnlich der römischen Purpurtunika oder dem Patrizierschuh (vgl. Kap. 6). Nur die unmittelbaren Herrschaftszeichen - vergleichbar den Amtsketten heutiger Bürgermeister oder Universitätsrektoren - gehörten untrennbar zum Herrscheramt (lat. ad regnum ) und seinem jeweiligen Inhaber, wohingegen die erwähnten Trachtbestandteile ihrem Träger wie eine heutige Richterrobe oder ein Talar gewissermaßen persönlich (lat. ad personam ) auf den Leib geschneidert waren und daher nach seinem Tod auch bei ihm bzw. in der Verfügung seiner Familie verblieben. Hätte es bei den frühen Kelten tatsächlich schon von Herrscher zu Herrscher weitergegebene Amtsinsignien ähnlich dem mittelalterlichen Zepter oder der Königskrone gegeben, so hätten wir nur sehr geringe Aussichten, diese jemals zu finden, eben weil sie dann niemals in die Gräber - unserer wichtigsten und für solch herausragende Objekte auch nahezu einzigen archäologischen Quelle - gelangt wären.
Kindergräber und erblicher Status
Ein im Vergleich dazu sehr viel aussagekräftigeres archäologisches Indiz für die erbliche Weitergabe von Rang und Status sind prunkvoll ausgestattete Kindergräber, weil die darin bestatteten Minderjährigen noch kaum durch eigene Verdienste eine entsprechend herausragende gesellschaftliche Position erlangt haben konnten. So deuten die erwähnten Kinderbestattungen im Gräberrund A von Mykene auf eine Erbaristokratie hin, und auch auf dem Königsfriedhof der Phrygerhauptstadt Gordion fand sich ein ›fürstlich‹ ausgestattetes Kindergrab, in dem neben den üblichen Prunkbeigaben einige kleine Spielsachen gefunden wurden (vgl. Kap. 10). »Wir müssen annehmen, daß ein kleines Kind von vier bis fünf Jahren, das mit so vielen und so erlesenen Grabbeigaben ins Jenseits geschickt wurde, ein junger Prinz oder eine Prinzessin aus der Königsfamilie war«, schrieb der Ausgräber Rodney S. Young zu diesem Fund aus Anatolien. Ebenso sind aus dem Dunklen Zeitalter Griechenlands einzelne Kinderbestattungen mit Waffen bekannt, die nach den Worten Berit Hildebrandts auf einen »erblichen Status« des dortigen Kriegertums hindeuten und »gegen die These sprechen, es habe in den Dark Ages keine stabilen Herrschafts- oder auch nur Rangverhältnisse gegeben«.
In der mitteleuropäischen Hallstattkultur hingegen existierten nach herkömmlicher Auffassung »keine Fürstengräber mit im Kindes- oder Jugendalter verstorbenen Personen«, weil »die Kinder - auch die des Adels - offensichtlich erst nach der Geschlechtsreife in Rang und Rechte der Hierarchie eintraten«, wie Konrad Spindler 1983 schrieb. Auch Stefan Burmeister hob noch kürzlich hervor, dass »elitäre Kindergräber, deren Anlage auf jeden Fall ein schlagendes Argument für eine Statuszuschreibung aufgrund von Abstammung ist«, während der Hallstattzeit noch nicht angelegt worden seien. Erst zu Beginn der nachfolgenden Frühlatènezeit im 5. Jahrhundert v.Chr. habe »der Brauch eingesetzt, auch Kindergräber mit Statussymbolen auszustatten«.
Burmeister erwähnte freilich selbst ein Grabhügelfeld aus der älteren Hallstattzeit (7. Jahrhundert v.Chr.) bei Mitterkirchen in Österreich, der neben den Bestattungen einer erwachsenen Frau und zweier Männer auch fünf Kindergräber mit Schwertern und Pferdegeschirren, in einem Fall sogar mit einem Wagen barg. Auch aus dem Magdalenenberg bei Villingen (vgl. Kap. 8) ist die Nachbestattung eines noch nicht 14-jährigen Jungen mit zwei Bronzefibeln, einem Halsring und einer kleinen Goldspirale als Grabbeigaben bekannt. Die Spirale ist das einzige Goldobjekt in dem ganzen Grabhügel und zeigt nach den Worten der Prähistorikerin Gabriele Weber-Jenisch, »daß es sich bei diesem Kind wohl um ein Mitglied des Fürstenhauses gehandelt hat«. 13
Noch um einiges reicher ausgestattet war eine 14- bis 19-jährige Tote, deren 1,63,3 Meter große Grabkammer 1992 in einem Tumulus bei Nordhouse im Elsass entdeckt wurde. Die junge Frau aus der Mitte des 6. Jahrhunderts v.Chr. war in einem muschelbesetzten Gewand und »mit einer Überfülle von Schmuckstücken« beigesetzt worden, darunter acht goldene Haarnadeln, zwei große Ohrringe aus Gold sowie ein einzigartiger Brustschmuck aus einer importierten Meeresmuschel und mehr als 200 Korallen- und Bernsteinperlen. Diese äußerst qualitätvolle Beigabenausstattung in Verbindung mit dem noch sehr jugendlichen Alter der Verstorbenen lässt nach dem Urteil der Bearbeiterin Suzanne Plouin auf eine »Vererbbarkeit von Macht und Reichtum« in der Hallstattzeit schließen.
Den zweifellos spektakulärsten Fund in dieser Hinsicht hat erst vor wenigen Jahren die Heuneburg bei Hundersingen geliefert. Bei Feldbegehungen und einer anschließenden kleinen Kontrollgrabung in ihrer Umgebung stießen Archäologen um Siegfried Kurz 2005 im Bereich eines vollständig verebneten Grabhügels völlig unerwartet auf die Reste eines reich ausgestatteten Kindergrabes mit erlesenen Goldbeigaben. Neben den Milchzahnresten eines zwei- bis vierjährigen Mädchens enthielt es mehrere Bronzeringe und Glasperlen, vor allem aber zwei eigens für die Bestattung mit Goldfolie überzogene Bronzefibeln und zwei filigran verzierte etruskische Anhänger aus Goldblech. »Da das höchstens vierjährige Mädchen wohl kaum aufgrund eigener Verdienste so prunkvoll ausgestattet wurde«, habe die reiche Grablege vermutlich vor allem »dazu gedient, die soziale Bedeutung der Familie nach außen darzustellen«, kommentierte Grabungsleiter Kurz die Entdeckung. In dem Grab spiegelten sich damit zumindest potenziell »Ansätze eines dynastischen Denkens«, weshalb Dirk Krausse von einem »Schlüsselfund« und von einem archäologischen »Quantensprung« spricht.
Erbgutanalysen
Präzisere und verlässlichere Aufschlüsse verheißt neuerdings ein naturwissenschaftlicher Forschungszweig, den es vor wenigen Jahrzehnten noch gar nicht gab, nämlich die Paläogenetik. In Zeiten, in denen man selbst das Schicksal des vor 30 000 Jahren ausgestorbenen Neandertalers durch die Analyse seines Erbguts zu klären versucht, bieten sich auch Skelettfunde aus der jüngeren Vorgeschichte für entsprechende populationsgenetische Untersuchungen an - so begann im Jahr 2001 unter gemeinsamer Leitung Krausses und der Genetikerin Susanne Hummel eine entsprechende molekularbiologische Pilotstudie für die Hallstattzeit. Die Forscher entnahmen aus den Knochen und Zahnwurzeln von elf Skeletten, die in sechs Fürstengräbern vor allem der Hohenasperg-Region geborgen worden waren, jeweils 1 Gramm Probenmaterial, das im Göttinger Institut für Anthropologie den heute gängigen Verfahren zur Extraktion und Vervielfachung alter Erbgutreste unterzogen wurde. Das Material aus acht der elf Skelette enthielt tatsächlich noch ausreichend viele DNA-Reste vor allem aus den Energiekraftwerken der Zellen - den Mitochondrien -, um insbesondere die Verwandtschaftsbeziehungen über die mütterliche Linie zuverlässig feststellen zu können. Dabei ergab sich, dass zwei der Toten, nämlich der Fürst von Hochdorf und der Grabherr aus dem etwa 40 Jahre jüngeren und rund 10 Kilometer entfernten Grafenbühl (vgl. Kap. 3 und 7) eine vollständig identische mitochondriale DNA besaßen und daher nach Krausse aus »derselben mütterlichen Linie« gestammt haben müssen. Drei weitere Tote aus dem Hochdorfer Grab, dem Grafenbühl und einer reichen Frauenbestattung bei Schöckingen wiesen ebenfalls ähnliche maternale Erbgutsequenzen auf, während die mitochondriale DNA der übrigen untersuchten Proben weit außerhalb des Hochdorfer Musters lag.
Dieses erste Ergebnis ist, wie Krausse betont, für die weitere Anwendung der Forschungsmethode ausgesprochen ermutigend und scheint darauf hinzuweisen, »dass die späthallstattzeitliche Elite der Hohenasperg-Region blutsverwandtschaftlich organisiert war - dass es sich also um Erbhäuptlingstümer oder Erbaristokratien handelte«, wie der Prähistoriker das Resultat kommentiert. Allerdings sei die Herrschaft in ihnen nicht, wie in den europäischen Herrscherhäusern des Mittelalters und der Neuzeit, vom Vater auf den Sohn bzw. die Tochter übergegangen, sondern über die mütterliche Linie weitervererbt worden - es habe sich mithin um eine matrilineare Erbfolge oder präziser ein sogenanntes Avunkulat (= Onkelherrschaft) gehandelt, bei dem das Erbe laut Krausse »vom Mann auf den Sohn oder die Söhne seiner Schwester übergeht«. Der Forscher erinnert in diesem Zusammenhang auch an die prachtvollen frühkeltischen Frauenbestattungen von Vix und Reinheim (vgl. Kap. 3 und 7) sowie an die von Livius überlieferte Wandersage, nach der der greise Keltenkönig Ambigatus im 6. Jahrhundert v.Chr. nicht etwa seine eigenen Nachkommen, sondern die Söhne seiner Schwester zur Gewinnung neuer Siedlungsgebiete in die Ferne schickte (vgl. Kap. 8). Eine solche matrilineare Erbfolgeregelung ist auch in archaischen Stammesgesellschaften der Neuzeit nichts Ungewöhnliches, sondern kommt dort fast genauso häufig vor wie die patrilineare Erbfolge. Ludwig Pauli hatte eine derartige Matrilinearität bereits 1972 auf der Grundlage rein archäologischer Indizien für das hallstattzeitliche Württemberg postuliert und hat durch die neuen paläogenetischen Ergebnisse wohl nachträglich Recht bekommen.
Herrschaftsstrukturen
So spricht also mittlerweile vieles für eine zumindest partielle Erblichkeit von Macht und Status in der frühkeltischen Gesellschaft, und deshalb ist auch nicht ganz einsichtig, warum Eggert und seine Mitstreiter diesen Gedanken weiterhin so vehement ablehnen. Immerhin hält Eggert ja, wie wir sahen, eine »Deutung des ›Fürstenphänomens‹ als Häuptlingstum« neben der von ihm bevorzugten Big-Men- Theorie zumindest für »möglich« (vgl. Kap. 9), und ein Häuptling verdankt sein Amt, wie er selbst feststellt, zumeist »einer Erbregel«. »In den meisten Häuptlingsherrschaften geht die Häuptlingswürde vom Vater auf den Erstgeborenen über«, so Claude Lévi-Strauss 1978, während es »in den matrilinearen Gesellschaften der Erstgeborene der Schwester des Häuptlings« ist. Das Prinzip der Primogenitur scheint somit »ein nahezu universeller Zug aller Häuptlingstümer« zu sein, wie der amerikanische Anthropologe Elman Service 1975 feststellte, und er vermutete dahinter die »Überzeugung, dass der Charakter eines Mannes sich auf seine Söhne, namentlich auf seinen Erstgeborenen, überträgt«. Selbst »der Rang ganzer Familien und Lineages« vererbt sich laut Service letztlich »durch Primogenitur«.
Davon abgesehen wird die Diskussion über mögliche Herrscherdynastien in der Hallstattzeit aber mit Sicherheit auch zu pauschal geführt, denn zwischen dem Extremmodell einer Erbmonarchie, in der selbst ein völlig ungeeigneter Sohn oder Neffe seinem Vater oder Onkel ins Amt nachfolgt, und dem Kontrastmodell einer völligen Offenheit des Zugangs zur den gesellschaftlichen Führungspositionen existiert eine Fülle von Alternativen, die in vormodernen Gesellschaften tatsächlich auch häufig praktiziert wurden, wie ein Blick in die Geschichte und die Völkerkunde zeigt. So kamen in vielen Kulturen als Anwärter für die höchsten Führungsämter von vornherein nur die Nachkommen zweier oder dreier besonders herausragender Adelsfamilien in Betracht, über deren konkrete Erfolgschancen dann aber ihre individuelle Eignung sowie ihr Durchsetzungsvermögen entschieden. Stefan Burmeister, der dem Dynastenmodell eigentlich ablehnend gegenübersteht (vgl. Kap. 9), erwähnt in diesem Zusammenhang das Beispiel eines nur rund 2000 Menschen umfassenden Kirgisenstammes im afghanischen Pamirgebirge, in dem die Position des Khans (vgl. S. 142) ebenso wie andere Führungsämter im Prinzip nach persönlicher Eignung besetzt wurde. Doch da die Söhne des Khans und der anderen Amtsträger aufgrund ihres familiären Hintergrundes und bestimmter Privilegien im Vorteil waren, ergab sich gewissermaßen durch die Hintertür für einzelne Verwandtschaftsgruppen »eine zumindest phasenweise Anwartschaft auf die politische Führung«.
Klett-Cotta
1. Aufl. 2010, 320 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, Karten, zahlreiche Abbildungen
ISBN: 978-3-608-94307-8
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Martin Kuckenburg

Martin Kuckenburg, 1955 in Erfurt geboren, studierte Vor- und Frühgeschichte, Urgeschichte und Völkerkunde in Tübingen und ist Sachbuchautor auf den ...



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