Der Begriff »German Angst« bezeichnete den Hang der Deutschen zum Grübeln sowie ihre merkwürdige Zukunftsangst.
Diese Ausgabe ist vergriffen.
Das Buch ist in neuer Ausgabe unter dem Titel
>> Kriegsspuren erhältlich.
Heute redet man allenthalben von einer gesellschaftlichen Lähmung und der Unfähigkeit, Reformen durchzuführen. Blockiert uns die German Angst? Ist sie eine Art kollektive Krankheit? Aber Angst wovor?
Doch es gibt zahlreiche, überzeugende Möglichkeiten, um diese Last abzuwerfen und die »German Angst« zu überwinden.
Mutlosigkeit ist in Deutschland ein verbreitetes Phänomen geworden, das lange vor Hartz IV und den Folgen der Globalisierung sichtbar wurde. Ihr können unbewußte vagabundierende Ängste zugrunde liegen, die von unverarbeiteten Kriegserlebnisssen herrühren. Leid und Schuld wurden nicht ausreichend betrauert.
Das führte zu Irritationen, die bis in die heutige Jugendgeneration weitergegeben werden. Die unbewußten Existenzängste der Deutschen in Ost und West wurden lange durch eine kostspielige Staatsfürsorge - im Westen übrigens ebenso wie in der DDR - in Schach gehalten. Wie stark das politische Handeln der Eliten, aber auch vor allem ihr Unterlassen, ihre Furcht vor einschneidenden Reformen auf die Verluste als Kriegskinder zurückzuführen sind, ist uns nicht bewußt. Ihre Kriegserfahrungen haben die meisten kleingeredet. Wie sehr ihnen »das bißchen Krieg« in den Knochen steckte, haben sie erst im Alter gemerkt.
Die kollektiven Ängste aus der Vergangenheit sind eine Last für unsere Zukunft. Dennoch: Wir könnten eine Menge tun, um die German Angst zu überwinden.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort und Dank
ERSTES KAPITEL: Wie lang sind die Schatten?
Ein Nachkriegsspiel
Langweilige Stille der Nachkriegsjahre
Zerstörung macht Spaß
»Die Deutsche Krankheit«.
Warum verkauft sich Angst so gut?
Es fehlt die Tiefenschärfe
Allgemeine Sprachlosigkeit
»Hitler war ja Westdeutscher«.
Welche Denkmuster müssen wir auflösen?
Wer ist gut davongekommen?
Die Schlüsselrolle der Kriegskinder
Das Leid fruchtbar machen
Aus Ratlosigkeit wird Hoffnungslosigkeit
ZWEITES KAPITEL: »Nie wieder ...« und die Angst vor dem Nichts
Werden meine Kinder genug zu essen haben?
Endlich im Schlafanzug zu Bett gehen!
Kein Trauerverbot - aber eine Selbstzensur
Die Büchse der Pandora
»Endlich hat mal jemand davon angefangen ...«
Wenn nichts mehr so ist, wie es einmal war
Millionen Menschen litten unter Kriegsfolgen
Das gute Beispiel von Dresden
Unbewußte Prägungen
Tüchtig, unauffällig und »emotional gebremst«
Die Kohl-Ära führte in den Reformstau
Lachende Franzosen: die Deutschen als Angsthasen
Hans Koschnick und die Kriege
Statt Familiengeschichten nur dunkle Andeutungen
Große Aufregung über »Heuschrecken«
Ein pessimistischer Grundzug mit Tradition
DRITTES KAPITEL: Zwischen Rentenillusion und Panikmache
Eine schlecht gelaunte Sprache
Steinbrück und die etwas andere Sozialisation
Was war für die Bundesrepublik identitätsstiftend?
Ohne Psychologie nicht zu erklären
»Man kann ja doch nichts machen ...«
Eine Sanierung, die zu spät kommt, wird teuer
Norbert Blüm: »Eine Mentalitätskrise«
»Christian von der Post« kämpfte
Neid und Intrigen in der eigenen Partei
Es fehlte ein Machtwort
VIERTES KAPITEL: Kinder des Krieges in Zeiten des Friedens
Was die Gewalt lehrt
Moral statt Nüchternheit.
Zeitgeschehen, das Biographien prägt
Das Trauma einer Familie
»Im Graben des Überlebens«
Angst, die Kindern eingeredet wurde
Blümchen auf Panzer
Die skeptische Generation
Eine ausgeschlagene Erbschaft
Dieter Wellershoff und die Freiheit
Ein einfühlsamer älterer Bruder
Der Tod der Mutter
FÜNFTES KAPITEL: Die verletzten Idealisten
Kriegsängste und ideologischer Kampf
Kein Blut für Öl
Bloß keine Psychologie!
Die Katastrophen und die Kriegerin
Vorbild Albert Schweitzer
1968 - in eigener Sache
Verbotene Partys.
Die Kinder waren Schulversager
Unruhige Studenten
Schluß mit dem braunen Geist!
SECHSTES KAPITEL: Der Blick von außen
Die Angst vor Liebe und vor Frieden
Wenn endlich alles gut wird, kommt der Teufel
Der Wiedervereinigung folgte die Depression
Kornblum - ein kenntnisreicher Ausländer.
»Das Vergangene ist nicht tot ...«
Deutschlands Problem heute: von Freunden umgeben
Warten auf den Mißerfolg
Das Gift des Mißtrauens
SIEBTES KAPITEL: Der Blick nach innen
Darauf warten, daß etwas schief geht
Der verdächtige Kuchen vom Kindergeburtstag
Kleine Kinder merken nichts?
Grausame Märchen wurden umgeschrieben
Partnerersatz für die Mutter
Was Generationen erben können
Hoffnungssignal Währungsreform
Das Drama der Erziehung
Verständnis für elterliche Gewalt
ACHTES KAPITEL: Können Vaterlose führen?
Am Grab eines Fremden
Eine Schockreaktion auf Panzer
»Vati kommt nie mehr zurück«
Die Sehnsucht nach einem vergessenen Helden
Peter Härtling, der große Bruder
Blinde Flecken in der Psychotherapie.
Die Heimkehrer: deprimiert und kriegsversehrt
Von der Vaterlosigkeit zur Kinderlosigkeit
Der Faktor Zukunftsangst
Schwierige Ehen
Ein Buch über mutige Eltern.
Der Vater wanderte aus
NEUNTES KAPITEL: Der vergiftete Boden
Kinder als Zeugen von Gewalt
Mißtrauen gegenüber den eigenen Landsleuten
Reflexe des Unbehagens auf deutsche Symbole
»Sei bereit, dein Land zu verlassen«
Die jungen »Unverkrampften«
Die blinden Flecken der Mitscherlichs
Konfrontation mit einem grauen Land
Die jüdische Herkunft störte.
Keine echte Empathie für die Überlebenden
»Suchte die Revolution ein gutes Ende?«
Schuldgefühle - in eigener Sache
Das Ende der Verdrängung
Familienforschung
Austausch über eine Pilgerreise
German Angst im Ost-West-Vergleich
Die Wende beendete die Nachkriegszeit
ZEHNTES KAPITEL: Was ein Land zusammenhält
Erziehungsziel mündige Bürger
Der deutsche Umgang mit Problemen
Land ohne eigene Interessen
»Ein Volk von Radikalen«
Dauerthema Zuwanderung
Nebelfelder in der Politik
Störmanöver aus dem Unterbewußten
Der Vorwurf Larmoyanz
Mitgefühl oder moralische Verpflichtung?
Eine Sternstunde im Bundestag
Familiengedächtnis gegen Erinnerungskultur
Hölderlin ein Nazi?
Der Umgang mit Ambivalenzen
Wer bist du, Deutschland?
Gedenkkultur hält eine Stadt lebendig
Wie versäumte Trauer nachgeholt werden kann
Zwei Hymnen mit Lücken
Eine kollektive Krankheit verstehen lernen
Anmerkungen
Personenregister
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Leseprobe
»Die Deutsche Krankheit«
Es gibt in unserem Land Auswirkungen von NS-Vergangenheit und Krieg, die würde niemand bestreiten: die deutsche Teilung und die daraus resultierenden Probleme der Wiedervereinigung, die Kriegsnarben vieler unserer Städte und daß noch immer irgendwo im Lande Bomben entschärft werden. Das Projekt Europa gehört dazu und die große Sehnsucht nach Frieden. Und daß sich angesichts einer Anhäufung von Schwarz-rot-gold und beim Hören des Deutschlandliedes Wohlgefühl nur selten einstellt, es sei denn, es handelt sich um sportliche Spitzenereignisse wie die Fußballweltmeisterschaft im eigenen Land.
Aber Angst? Oder German Angst, wie die Angelsachsen ein Phänomen nennen, das für sie in den achtziger Jahren erstmals erkennbar wurde? Oder gar »German Disease«- »Die Deutsche Krankheit«, ein Begriff, auf den man sich inzwischen rund um den Globus geeinigt hat, um sich darüber zu verständigen, daß das über Jahrzehnte gültige Bild von den zupackenden, leistungsstarken Deutschen mit ihrem mustergültigen Sozialstaat revidiert werden muß. Die deutschen Urlauber, so heißt es in der internationalen Tourismusbranche, erkennt man an herunterhängenden Mundwinkeln. Ja gut, das ist für uns nichts Neues. Seit Jahren schon wird der Mangel an Optimismus in unserer Bevölkerung von Politikern und Medien kritisiert, und seit die große Koalition regiert, werden in Fernsehspots regelmäßig Appelle zur kollektiven Stimmungsaufhellung verbreitet. Die Regierung Angela Merkel schenkte den Deutschen eine Phase des Durchatmens: keine harten Einschnitte im ersten Jahr, keine neue Welle kollektiver Ängste ... Es beruhigte die Bevölkerung tatsächlich ein wenig und führte in Politik und Medien zu einem verblüffenden Klimaumschwung. Plötzlich ist die Stimmung besser als die Situation des Landes. Da staunt man schon, wurden doch gerade die Massenblätter und das Fernsehen - und sie wiederum mit kräftiger Unterstützung der Politiker - nicht müde, neue Bedrohungen auszugraben und die Zukunft als eine einzige Kette von katastrophenähnlichen Zuständen darzustellen. Was soll sie daran hindern, genau dies zu wiederholen, wenn die Preise steigen und die Arbeitslosenquote nicht nennenswert sinkt?
Mag sein, wir haben es bei »Bad news are good news« mit Selbstläufern zu tun, die alle westlichen Gesellschaften irritieren, aber leider unkontrollierbar wie das Wetter sind. Gegen Regen schützt ein Schirm. Was aber hilft, um die Überdosis von schlechten Nachrichten zu ertragen, wie sie uns tagtäglich das Fernsehen verabreicht? Wie ignoriert man die einladenden Schreckensnachrichten (Bild: »Als Kassenpatient bist du der letzte Arsch!«), womit der Opferjournalismus an jedem Kiosk, an jeder Haltestelle auflauert? Wie hätte man unbeeindruckt bleiben können, als auf einem Titelblatt Kinder mit furchtsam geweiteten Augen ihr angeblich von Hartz IV bedrohtes Sparschwein in die Kamera hielten? Wie hält man die permanenten Bedrohungsszenarien (»Die Erdachse kippt!«) auf Abstand?
Warum verkauft sich Angst so gut?
Als während der Unruhen in Frankreich im Herbst 2005 jede Nacht 1000 Autos in Flammen aufgingen und bekannt wurde, daß die Brandstifter erste Nachahmer gefunden hatten, wußte der Kölner Express zu berichten, auch in Deutschland wachse die Angst. Es war eine Angst, die er gerade erst mit seinem Aufmacher produziert hatte: »Auch in Berlin brennen die Autos«. - In der Tat. Drei Wagen waren angezündet worden, 997 weniger als in Frankreich. Aber die Schlagzeile klang verheißungsvoll. Ein Anfang, so versprach sie, ist gemacht.
Wie wehrt man sich gegen Klatsch in der Boulevardpresse, der einem die gute Laune nimmt? Eigentlich geht es niemanden etwas an, wenn die bis dato unbekannte Freundin eines bekannten Popstars Brustkrebs hat. Es steht aber auf Seite 1, und es ist kaum möglich, sich der Botschaft zu entziehen, weil sie einen selbst im Vorbeigehen anspringt, und dann freut man sich nicht länger über einen sonnigen Tag, sondern man denkt an Freundinnen und Bekannte, die an Brustkrebs leiden oder daran gestorben sind.
Wem dient das? Gerade in Zeiten des Klimawandels, wenn die gesellschaftlichen Bedingungen rauher werden, wenn Konzerne Riesengewinne machen und gleichzeitig die Arbeitsplätze in Deutschland weiter abbauen, wenn Menschen mehr arbeiten müssen und weniger Geld bekommen und im Falle von Arbeitslosigkeit die finanzielle Unterstützung magerer ausfällt, als man sich das einmal vorgestellt hatte - wenn also Sorgen und Belastungen wachsen und ein Ende nicht abzusehen ist, gerade dann brauchen Menschen eigentlich einen anderen geistigen Treibstoff, um bei Kräften zu bleiben, als die negative Energie wild wuchernder Bedrohungen.
Was können wir über die Grundbefindlichkeit eines Kollektivs sagen, dem wir selbst angehören, weshalb es so schwierig ist, Distanz zu entwickeln? Sind wir zu einer realistischen Einschätzung überhaupt in der Lage? Wie sollen wir unterscheiden, ob uns die Medien einen Mangel an Zuversicht und Risikofreude im wesentlichen nur einreden oder ob sie die Wirklichkeit beschreiben? Zweifelsfrei läßt sich nur sagen, daß das Schüren von Ängsten im Fernsehen und in Massenblättern auf die Kundschaft keineswegs abschreckend wirkt, sondern gute Quoten und hohe Auflagen sichert. Das Geschäft mit der Angst bedient kollektive Bedürfnisse. Aber welche?
Es fehlt die Tiefenschärfe
Was wissen wir über uns, solange es keine handfesten Untersuchungen über die Hintergründe der Stimmungslage der Nation gibt und vermutlich auch gar nicht geben kann? Was uns zur Verfügung steht, sind die Ergebnisse der Meinungs- und Marktforscher, aber ihnen fehlt die Tiefenschärfe. Allzu verläßliche Aussagen lassen sich daraus nicht ableiten, wie es spätestens das völlig unerwartete Ergebnis der Bundestagswahl im September 2005 gezeigt hat. Daß in Deutschland die Angst extrem groß sei, vor allem vor Arbeitslosigkeit, gefolgt von der Angst vor Terrorismus und vor Krieg, das wird in regelmäßigen Abständen durch Umfragen bestätigt. Doch herauszufinden, was ein Kollektiv befürchtet und wodurch es unterbewußt gesteuert wird, sind zwei verschiedene Dinge.
Gemessen daran, wie schnell hierzulande ausländische Stimmen zur »deutschen Schuld« in die Schlagzeilen gelangen, dauerte es verblüffend lange, bis sich unsere Politiker den Befund vom verängstigten Deutschen zu eigen machten. Seit einigen Jahren gehört »German Angst« zum Vokabular der öffentlichen konsensfähigen Zustandsbeschreibung. Der Bundestagspräsident aus der Zeit der sozialliberalen Koalition, Wolfgang Thierse, orakelte auf dem Katholikentag 2004: »Von German Angst spricht man im Ausland mit Blick auf unsere kollektive Gefühlslage. Angst wovor? Ist das eine kollektive, eine nationale Lebensangst? Ist es die Angst vor der Politik als solcher? Angst vor den realen Folgen der Politik - einer Politik, die erst falsche Versprechungen von blühenden Landschaften und immerwährendem Wohlstand aufbläst und dann an der Realität scheitern muß?«
Das Rätselraten über die Ursachen von German Angst ist noch im Gange. Was lähmt die Deutschen? Warum schauen sie ihren Ängsten nicht ins Gesicht und versuchen, sie zu überwinden? Häufig wird gesagt, eine solche Zukunftsangst - die sich im Unterschied zur Furcht auf nichts Konkretes bezieht - gehöre zusagen zur Grundausstattung der deutschen Mentalität. Manche vermuten ihren Ursprung im Dreißigjährigen Krieg, andere in der Romantik; wieder andere sagen, diese Angst habe »irgendwie mit der deutschen Schuld« zu tun. Während der Arbeit an meinem Buch »Die vergessene Generation. Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen« fing auch ich an, mich innerlich an derartigen Spekulationen zu beteiligen. In mir wuchs ein Verdacht. Können die Schatten der Vergangenheit ein Kollektiv über viele Jahrzehnte unterschwellig so stark belasten, daß für neue Herausforderungen, für ein tiefgreifendes Umdenken einfach die Kraft fehlt? Ist es das, was uns den Umgang mit Wohlstandsverlusten so schwer macht? Sind die tatsächlichen Ursachen für die heutige Mutlosigkeit schon über 60 Jahre alt?
Ich stand mit meinen Fragen allein. Sie lösten allenfalls Kopfschütteln aus. Was soll das? Wen interessiert denn sowas? Und was bringt uns das Wissen, wenn es denn tatsächlich so wäre? Kein Thema. Die Reaktionen ähnelten der Situation 1995, als es um die Frage ging: Wie haben eigentlich die deutschen Kriegskinder ihre frühen Begegnungen mit Gewalt verkraftet?
Damals schien sich außer mir kaum jemand dafür zu interessieren, weder die Kriegskinder selbst noch Ärzte, Psychotherapeuten, Seelsorger, Redakteure. In Deutschland, so kam es mir vor, hatte man sich stillschweigend darauf geeinigt, daß die Kinder des Krieges gut davongekommen waren.
Allgemeine Sprachlosigkeit
Zehn Jahre später, im Jahr 2005, als die Generation erstmals in der Öffentlichkeit sichtbar wurde, zeigte sich dann: Viele Kriegskinder begriffen erst im Ruhestand, wie stark ihr Leben und ihr Verhalten von den frühen Schrecken geprägt waren. Die meisten sind jahrzehntelang nicht in der Lage gewesen, etwas laut zu denken, wofür ihnen keine Sprache zur Verfügung stand.
Und nun das Desinteresse am Thema German Angst. Der Gedanke, auch hier könnte der Zugang durch Sprachlosigkeit blockiert sein, lag für mich auf der Hand. Dennoch fanden sich beim inneren Abwägen zunächst mehr Gegenargumente. Hat sich ein Kollektiv je umfassender mit seiner Vergangenheit beschäftigt? Ist der Drang, sich seiner Geschichte bewußt zu werden, inzwischen nicht sogar zum Zwang geworden? Haben ausländische Stimmen recht, wenn sie die Deutschen als ständig um sich selbst kreisend, ja als geradezu erinnerungswütig kritisieren? Wo soll da Sprachlosigkeit sein? Hat nicht die erschlagende Fülle des Gedenkens im April und Mai 2005 bewiesen, daß das Interesse in der Bevölkerung 60 Jahre nach Kriegsende eher noch wächst als schwindet?
Die Aufarbeitung der dunklen Jahre Deutschlands und deren Folgen für die Opfer wurde in der Bundesrepublik weitgehend den Historikern überlassen. Die Zahlen, auf die man sich einigte, übersteigen jedes menschliche Vorstellungsvermögen. Im Zweiten Weltkrieg starben weltweit 60 Millionen Menschen. Allein in Rußland waren es 25 Millionen. Im Schatten des Krieges wurden in Europa 6 Millionen Juden ermordet. Die historische Forschung bezog sich auf die Heimsuchungen, die von Hitlerdeutschland ausgingen, auf Vernichtungskrieg und Holocaust - und im geringeren Umfang auch auf die Gewalterfahrung und die Verluste der Deutschen selbst: 5,3 Millionen gefallene Soldaten, 1,7 Millionen tote Zivilisten, 11 Millionen in Kriegsgefangenschaft, Millionen Vermißte und Kriegsversehrte, viele hunderttausend vergewaltigte Frauen und Mädchen.
Die Beschäftigung mit den von Deutschen verursachten Massenverbrechen und dem Leid der deutschen Bevölkerung - als das Untersuchen »der beiden moralisch so unterschiedlich zu bewertenden Leidensspuren«, wie es der Holocaustforscher Micha Brumlik nannte, geschah nicht parallel, sondern zeitlich versetzt. Die Vertreibung wurde bis Anfang der siebziger Jahre in der Bundesrepublik ausgiebig erforscht und dokumentiert, was sicherlich auch dem Klima des Kalten Krieges geschuldet war.
»Hitler war ja Westdeutscher«
In der DDR wurde mehr oder weniger das Gegenteil praktiziert. Über Flucht und Vertreibung durfte nicht laut geklagt werden, dagegen wurde das Gedenken an die Zerstörung Dresdens und das Leid seiner Bewohner offiziell zum Kult erhoben. Es ging dem SED-Staat nicht um kollektive Trauer, sondern um das Verschärfen des westlichen Feindbildes, wenn er Jahr für Jahr an »die angloamerikanischen Terrorbomber« erinnerte. Auf ein grundsätzliches Aufarbeiten der NS-Vergangenheit hat man verzichtet. Um das zu erklären, greift die ehemalige DDR-Bürgerin und heutige Bundesbeauftragte für Stasiunterlangen, Marianne Birthler, zu leiser Ironie. »Das brauchten wir alle nicht. Hitler war ja, wie Peter Bender es auf den Punkt brachte, Westdeutscher. Wir waren erklärtermaßen der antifaschistische Staat, und es gab auch offizielles und öffentliches Gedenken, aber wir haben über andere geredet, nicht über uns. Denn die Verbrecher - ich sags jetzt etwas verkürzt -, die waren alle im Westen.«
[...]
»Ein Gespenst geht um in Deutschland, die "German Angst". Die Kölner Autorin Sabine Bode hat diese spezielle Mischung "diffuser Gefühle des Bedrohtseins", der "Angst vor dem Rückfall in die Barbarei" und der Verelendung in ihrem neuen Buch "Die deutsche Krankheit - German Angst" sehr eingehend untersucht.«
Peer Steinbrück, Die Welt am Sonntag, 17.9.2006
»Die Kölner Journalistin hat sich umgehört unter ihren Landsleuten. Entstanden ist dabei eine Art Collage kurzer Psychogramme der deutschen Seelenlage, gespeist aus Interviews mit Politikern, Managern, Journalisten, Schriftstellern und Wissenschaftlern.«
Thomas Speckmann, Die Welt, 10.2.2007
»"German Angst" überzeugt mit schlüssigen Argumenten, verständlicher Sprache und einer geschickten Auswahl von Interviewpartnern. Sabine Bode lässt Unterstützer wie Kritiker ihrer Thesen zu Wort kommen - und wartet am Ende sogar mit einer guten Nachricht auf: Die deutsche Krankheit ist nicht unheilbar - man muß sich ihr nur endlich mal stellen. ... Das Buch zeigt, dass wahrscheinlich beide - Regierung und Volk - von den gleichen Ängsten geplagt sind: Der Furcht vor einschneidenden Veränderungen. ...«
Maja Zehrt, Dresdner Neuste Nachrichten, 22.09.2006
»Der erste innovative Erklärungsansatz in der Zukunftsdebatte seit langem. (...) Es gelingt Sabine Bode, mit anschaulichen Anekdoten eine tief sitzende Verunsicherung zu vermitteln, die sich den Kindern der Nachkriegsgeneration eingeprägt habe.«
Silvia Maier, buchhandel.de, 18.10.2006
»Warum die Deutschen ängstlich in die Zukunft blicken, meist das Schlimmste erwarten und sich mit aller Kraft an ihren Besitz klammern? Die Kölner Publizistin Sabine Bode wagt in ihrem Buch Die deutsche Krankheit - German Angst eine Antwort: Es liegt an den deutschen Kriegskindern.«
Heike Littger, Süddeutsche Zeitung, 2.9.2006