Douglas Hofstadters bestes und persönlichstes Buch.
»... gehört es mit zum Anregendsten, was zum Themenkreis Leib-Seele bzw. Bewusstsein und Gehirn seit langer Zeit gesagt wurde...«
Gerrit Stratmann (Deutschlandradio Kultur, 04.05.08)
Einmal mehr widmet er sich den zentralen Themen seines Debüts - dem Weltbestseller »Gödel, Escher, Bach« - und lässt sich in keine Schublade pressen. Der »akademische Rockstar«, der mit seinem sensationellen Stil Querverbindungen, Analogien und Ideen einarbeitet, sorgt mit seinen Thesen immer wieder für Aufregung.
In seinem neuen Buch verbindet Hofstadter seine Gedankenexperimente und intellektuellen Abenteuer mit seiner einzigartigen Lebensgeschichte - ein ganz persönliches Buch.
Intelligenz, Bewusstsein und Selbst-Bewusstsein sind für Douglas R. Hofstadter die wichtigsten Fragen überhaupt. Bastelte die Natur tatsächlich aus Neuronen das Gehirn? Und wie kam es zum Wunder des Selbstbewusstseins? Menschliches Selbstbewusstsein scheint aus Mustern zu bestehen, die Schleifen bilden. Sie nehmen sich beim Sehen, Sprechen, Gehen ... beim Denken selbst wahr, beobachten sich und verstehen sich selbst und die anderen »Schleifen« immer besser. Der Hirnforscher zum Beispiel, der sein denkendes Gehirn untersucht, der Künstler, der sich selbst porträtiert, und schließlich alle Menschen, die über sich selbst nachdenken.
Jeder Mensch ist so eine seltsame Schleife - diesem merkwürdig- einzigartigen Phänomen hat Douglas R. Hofstadter sein neuestes Buch gewidmet. Voller verblüffender Einfälle stellt Hofstadter einem breiten Publikum seine Gedankenexperimente und intellektuellen Abenteuer vor und verbindet sie mit seiner einzigartigen Lebensgeschichte - zu einer seltsamen Schleife.
Leseprobe
Vorwort - Ein Autor und sein Buch
Die körperliche Seite des Bewusstseins
Schon in Kindertagen dachte ich darüber nach, was mein Geist ist und was - analog dazu - Geist bei anderen ist. Ich erinnere mich an meine Versuche, die Art und Weise zu verstehen, wie ich auf meine Sprachspiele kam, auf die mathematischen Ideen, die ich mir ausdachte, die Versprecher, die mir unterliefen, die witzigen Analogien, die mir einfielen, und so weiter. Ich überlegte, wie es wohl wäre, ein Mädchen zu sein, oder wie es wäre, eine andere Muttersprache zu haben, Einstein zu sein, ein Hund, ein Adler, vielleicht sogar eine Mücke. Im Großen und Ganzen war das Leben unbeschwert und heiter.
Als ich zwölf Jahre alt war, fiel ein dunkler Schatten auf unsere Familie. Meine Eltern, meine siebenjährige Schwester Laura und ich wurden mit der grausamen Tatsache konfrontiert, dass mit Molly , dem jüngsten Kind der Familie, die damals erst drei Jahre alt war, etwas überhaupt nicht stimmte. Keiner wusste , was es war, aber Molly war nicht in der Lage, Sprache zu verstehen oder zu sprechen (sie kann es bis heute nicht, und wir haben nie herausgefunden, woran das liegt). Sie bewegte sich leicht durch die Welt, sogar mit Anmut und Grazie, aber Worte benutzte sie nie. Es war sehr traurig.
Über Jahre hinweg erwogen unsere Eltern alle nur denkbaren Mittel - sogar einen chirurgischen Eingriff -, um ihr zu helfen. Ihre Suche nach Heilungsmöglichkeiten oder wenigstens irgendeinem Ansatz von Erklärung wurde immer verzweifelter. Mein eigenes gequältes Nachdenken über Mollys Notlage und die fürchterliche Idee, dass irgendwelche Leute den Kopf meiner kleinen Schwester aufmachen und die mysteriöse Substanz inspizieren sollten, die ihn ausfüllte (auf diese Methode haben wir am Ende doch verzichtet), brachte mich dazu, etliche populärwissenschaftliche Bücher 1 über das menschliche Gehirn zu lesen. Das hatte einen ungeheuren Einfluss auf mein Leben, denn es zwang mich zum ersten Mal, über die körperliche Grundlage des Bewusstseins nachzudenken, die körperliche Grundlage der Tatsache, ein »Ich« zu sein oder zu haben, was ich verwirrend fand, schwindelerregend, und äußerst unheimlich.
Ungefähr in dieser Zeit, gegen Ende meiner High-School-Jahre , stieß ich auf die mysteriösen metamathematischen Offenbarungen des großen öster reichischen Logikers Kurt Gödel ; außerdem lernte ich zu programmieren, und zwar am einzigen Computer der Stanford University , einem Burroughs 220, der im herrlich schummrigen Keller der altehrwürdig-baufälligen Encina Hall stand. Schnell wurde ich süchtig nach diesem »riesigen elektronischen Gehirn«, dessen orangene Lichter in seltsamen magischen Mustern blinkten und so die »Gedanken« der Maschine offenbarten; es konnte auch auf mein Geheiß wunderbare abstrakte mathematische Strukturen enthüllen und verdrehte Nonsense-Texte in verschiedenen Fremdsprachen verfassen, die ich damals lernte. Gleichzeitig erfasste mich eine Besessenheit für symbolische Logik, deren rätselhafte Symbole in kuriosen magischen Mustern tanzten und Wahrheiten und Unwahrheiten reflektierten, Hypothesen, Möglichkeiten und Kontrafaktizitäten , was alles - davon war ich überzeugt - tiefe Einblicke in die verborgenen Quellgründe menschlichen Denkens erlaubte. Das Ergebnis dieser unablässigen, aufwühlenden Grübeleien über Symbole und Bedeutungen, Muster und Ideen, Maschinen und Mentalität, neurale Impulse und sterbliche Seelen war ein infernalischer Tumult in meinem jugendlichen Geist/Gehirn.
Die Fata Morgana
Eines Tages, ich war um die 16, 17 Jahre alt und wieder einmal tief versunken in diese wirbelnden Wolken von Ideen, die mich emotional nicht weniger forderten als intellektuell, dämmerte es mir - und dieser Eindruck ist mir geblieben -, dass das, was wir »Bewusstsein« nennen, eine Art Fata Morgana ist. Es musste natürlich eine ganz besondere Art von Fata Morgana sein, denn es war eine Fata Morgana, die sich selbst als solche wahrnahm, und natürlich glaubte sie nicht, bloß eine Luftspiegelung wahrzunehmen, und dennoch - sie blieb eine Illusion. Es war fast so, als würde sich dieses schlüpfrige Phänomen namens »Bewusstsein« an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen, als würde es sich aus Nichts selbst erschaffen, und sogleich wieder in nichts zerbröseln, sobald man es genauer ansah.
Ich war dermaßen verstrickt in den Versuch zu verstehen, was es heißt zu leben, ein Mensch zu sein, Bewusstsein zu haben, dass ich mich gedrängt fühlte, meine schwer fassbaren Gedanken auf Papier festzuhalten, aus Angst, dass sie mir sonst auf Nimmerwiederdenken entwischen würden. Ich setzte mich also hin und schrieb einen Dialog zwischen zwei hypothetischen zeitgenössischen Philosophen, die ich ganz leichtfertig und unbekümmert »Platon« und »Sokrates« nannte (ich wusste damals praktisch nichts über den echten Platon und den echten Sokrates). Dies dürfte wohl mein erstes ernsthaftes schriftstellerisches Elaborat gewesen sein; jedenfalls war ich so stolz darauf, dass ich es nie weggeworfen habe. Obwohl ich meinen Dialog zwischen diesen beiden pseudo-griechischen Philosophen heute für reichlich unreif und unbeholfen halte, ganz abgesehen von seiner Skizzenhaftigkeit , habe ich mich trotzdem entschieden, ihn hier als Prolog einzufügen, denn er weist auf viele Ideen voraus, die noch folgen werden, und ich meine, dass er einen hübsch provokanten Ton für den Rest des Buchs anschlägt.
Ein Ruf in der Wüste
Als ich ungefähr zehn Jahre später an meinem ersten Buch zu arbeiten begann, als dessen Titel mir » Gödels Theorem und das menschliche Gehirn« vorschwebte, war meine Leitidee die, dass ich die Vorstellung des menschlichen Selbst und das Geheimnis des Bewusstseins verbinden wollte mit Gödels verblüffender Entdeckung einer majestätischen, verschlungenen selbst refe ren tiellen Struktur (einer »seltsamen Schleife«, wie ich das später nennen sollte) inmitten einer imposanten Bastion, deren verwegene Architekten Selbstreferenz mit nachdrücklicher Strenge ausgeschlossen hatten. Die Parallele zwischen Gödels wundersamer Herstellung von Selbstreferenz aus einem Substrat bedeutungsloser Symbole und dem wundersamen Erscheinen von Selbst und Seele in Substraten, die aus unbelebter Materie bestehen, erschien mir so zwingend, dass ich davon überzeugt war, hier das Geheimnis unseres Gefühls von »Ich« vor mir zu haben. So erschien also mein Buch Gödel , Escher , Bach (und bekam einen eingängigeren Titel).
Der Erfolg dieses Buches, das 1979 erschien, konnte größer nicht sein, und tatsächlich verdankt Ihr sehr ergebener Autor einen Gutteil seines seitherigen Lebensweges diesem damaligen Erfolg. Aber trotz dieser Popularität hat es mich immer gewurmt, dass die eigentliche Botschaft von GEB (wie nicht nur ich es abzukürzen pflege) größtenteils unbemerkt geblieben ist. Die Leute mochten das Buch aus allen möglichen Gründen, aber eigentlich fast nie wegen seiner innersten raison d'être ! Jahre gingen ins Land, und ich schrieb andere Bücher, die auf diese zentrale Botschaft anspielten, sie ergänzen sollten, aber nach wie vor schien das, was ich eigentlich mit GEB sagen wollte, nicht wirklich verstanden zu werden.
1999 wurde GEB zwanzig Jahre alt, und die Leute von Basic Books schlugen vor, dass ich ein Vorwort für eine neue Sonderausgabe schreibe. Mir gefiel die Idee, daher nahm ich die Herausforderung an. In meinem Vorwort erzählte ich alle möglichen Geschichten über das Buch und die Höhen und Tiefen, die es mitgemacht hatte; unter anderem beschrieb ich meine Frustration über seine Rezeption, die in der Klage gipfelte: »Manchmal habe ich das Gefühl, ich hätte in der Wüste eine Botschaft von eminenter Bedeutung verkündet und niemand hätte mich gehört.«
Eines Tages im Frühjahr 2003 erhielt ich allerdings eine sehr freundliche E-Mail von Ken Williford und Uriah Kriegel , zwei jungen Philosophen, die mich baten, ein Kapitel zu einer Anthologie beizutragen, die sie zu einem Themenkomplex zusammenstellten, den sie »die Theorie (oder die Theorien) der Selbst-Referentialität « des Bewusstseins nannten. Sie drängten mich zur Teilnahme, sie ersparten mir auch nicht das Zitat meiner Wehklage aus dem Vorwort zur Neuauflage von GEB , und sie wiesen darauf hin, dass mir hier endlich die Chance geboten werde, dem Missstand abzuhelfen. Ihr aufrichtiges Interesse an der Quintessenz meiner Botschaft freute mich sehr, gleichzeitig berührte mich ihre herzliche Begeisterung, und ich merkte, dass ein Beitrag zu ihrem Band tatsächlich eine großartige Gelegenheit für mich sein konnte, meine Ideen über Selbst und Bewusstsein für genau das richtige Publikum von Spezialisten - Vertreter der Philosophie des Bewusstseins - erneut zu formulieren. Daher war die Entscheidung, ihre Einladung anzunehmen, für mich nicht allzu schwer.
Aus den majestätischen Dolomiten ins beschauliche Bloomington
Ich begann mit der Niederschrift meines Beitrags in einem stillen, einfachen Hotelzimmer in dem wunderschönen Alpendorf Anterselva di Mezzo in den Südtiroler Dolomiten, nur ein paar Steinwürfe entfernt von der österreichischen Grenze. Der Zauber der Umgebung beflügelte mich, und ich warf schnell zehn bis fünfzehn Seiten aufs Papier; danach hatte ich den Eindruck, die Hälfte sei schon erledigt. Dann kehrte ich nach Bloomington , Indiana , zurück, aber dort kam ich beim Weiterschreiben richtig ins Schwitzen.
Es brauchte um einiges länger als ich angenommen hatte, den Text fertigzustellen (etliche meiner Leser werden das als ein Paradebeispiel für Hofstadters Gesetz 2 identifizieren, das da lautet: »Du brauchst immer mehr Zeit, als du am Anfang annimmst, auch dann, wenn du Hofstadters Gesetz berücksichtigst «), und was schlimmer war, das Kapitel wuchs sich zu einem Umfang aus, der viermal so groß war wie das vorgegebene Limit - eine Katastrophe! Aber als Ken und Uriah das Ergebnis in Händen hatten, waren sie sehr angetan von dem, was ich geschrieben hatte; und auch meine Haltlosigkeit bezüglich des Umfangs konnten sie akzeptieren; ja, sie waren derart begeistert davon, einen Beitrag von mir in ihrem Buch zu haben, dass sie sagten, sie hätten kein Problem mit einem extra langen Kapitel, und Ken vor allem half mir, den Text auf den halben Umfang zusammenzukürzen - ein vollkommen selbstloser Akt der Nächstenliebe.
Mittlerweile begann mir zu dämmern, dass das, was ich da geschrieben hatte, auch mehr sein könnte als ein Beitrag in einem Sammelband - es hatte das Zeug dazu, selbst ein Buch zu werden. Daher gabelte sich, was als ein einziges Projekt begonnen hatte, in zwei Richtungen. Mein Kapitel erhielt den Titel »Wie ist es, eine seltsame Schleife zu sein?«, was anspielt auf den berühmten Aufsatz des Bewusstseins-Philosophen Thomas Nagel über das Geheimnis des Bewusstseins : »Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?«; 3 das geplante Buch erhielt den kürzeren, netteren Titel »Ich bin eine seltsame Schleife«.
In der Anthologie von Ken Williford und Uriah Kriegel Self-Representational Approaches to Consciousness , die im Frühling 2006 erschien, stand mein Aufsatz ganz am Ende, in einer zwei Kapitel umfassenden Abteilung unter der Überschrift »Jenseits der Philosophie« (wieso mein Beitrag »Jenseits der Philosophie « angesiedelt sein soll, liegt jenseits meines Begreifens , trotz allem gefällt mir die Idee). Ich weiß nicht, ob meine Ideen-Kombination in diesem hervorragenden, aber doch recht fachgebundenen Rahmen von allzu großem Einfluss auf ein breiteres Publikum sein wird; doch hoffe ich sehr, dass mit diesem Buch, das Sie jetzt in Händen halten, die breiter ausgefaltete und deutlichere Inkarnation meiner Gedanken alle möglichen Leute erreichen kann, sowohl philosophische Insider als auch Laien, alte und junge Menschen, Spezialisten und Novizen, und dass es ihnen eine neue Vorstellung über Selbst und Seelen vermittelt (von Schleifen ganz zu schweigen!). Auf jeden Fall bin ich Ken und Uriah zu großem Dank dafür verpflichtet, dass sie die Initialzündung zur Entstehung dieses Buches gegeben und mich auch während seiner Abfassung immer wieder ermutigt haben.
Nach fünfundvierzig Jahren (du lieber Himmel!) habe ich also den Kreis vollendet, indem ich wieder über Seelen, Selbst und Bewusstsein schreibe und wieder gegen dieselbe unheimliche Unerklärlichkeit knalle, die ich erfuhr, als ich damals zum ersten Mal als Teenager entsetzt, aber auch fasziniert war von der furchterregenden, ehrfurchtgebietenden Körperlichkeit dessen, was uns zu dem macht, was wir sind.
Ein Autor und sein Publikum
Trotz seinem Titel handelt dieses Buch nicht von mir, sondern von der Vorstellung von »Ich«. Also handelt es von Ihnen, dem Leser, genauso sehr wie von mir. Ich hätte dem Buch auch den Titel »Sie sind eine seltsame Schleife« geben können. Die ganze Wahrheit, den Gegenstand und das Ziel des Buches würde ich aber am ehesten mit dem Titel »Ich ist eine seltsame Schleife« treffen - naja , aber können Sie sich einen schwerfälligeren Titel vorstellen? Dann hätte ich es gleich »Ich bin ein Blei-Ballon « nennen können.
Auf jeden Fall geht es in diesem Buch um die uralte Frage, was ein »Ich« ist. Und wer ist sein Publikum? Nun, wie immer schreibe ich für ein Publikum mit durchschnittlicher Allgemeinbildung. Ich schreibe fast nie für Spezialisten, was hauptsächlich daran liegt, dass ich selbst keiner bin. Oder nein, das nehme ich zurück; das ist unfair. Schließlich blicke ich in diesem Moment meines Lebens auf fast dreißig Jahre Arbeit mit Doktoranden zurück, mit denen ich an Computermodellen für Analogiebildung und Kreativität gearbeitet habe, wir haben alle möglichen kognitiven Fehlleistungen beobachtet und analysiert, wir haben die zentrale Rolle von Analogien in der Physik und der Mathematik studiert, wir haben über die Mechanismen von Humor nachgedacht, uns überlegt, wie Vorstellungen entstehen und wie Erinnerungen wieder aktiviert werden, wir haben unter allen möglichen Aspekten Wörter, Redewendungen, Sprachen, Übersetzungen erforscht und so weiter - und ich habe in diesen drei Jahrzehnten Seminare über viele Aspekte des Denkens und unserer Wahrnehmung der Welt abgehalten.
Also bin ich wohl am Ende doch so etwas wie ein Spezialist - spezialisiert auf das Denken über das Denken. Ja, wie ich schon zuvor festgestellt habe, dieses Thema hat mein Gedankenfeuer schon genährt, als ich ein Teenager war. Eine meiner sichersten Schlussfolgerungen lautet, dass unser Denken grundsätzlich darin besteht, dass wir Parallelen zu Dingen suchen und ziehen, die wir aus unserer Vergangenheit kennen, und dass wir uns deshalb am besten mitteilen können, wenn wir Beispiele benutzen, Analogien, Metaphern in Hülle und Fülle; wenn wir abstrakte Verallgemeinerungen vermeiden, wenn wir eine bodenständige, konkrete und einfache Sprache verwenden, und wenn wir direkt über unsere eigenen Erfahrungen sprechen.
Die Pferdchen-und-Hündchen-Religion
Im Lauf der Jahre habe ich mir eine Art des Selbstausdrucks angewöhnt, die ich den » Pferdchen-und-Hündchen «-Stil 5 nenne, eine Wendung, die von einer reizenden Episode aus den berühmten » Peanuts «- Cartoons inspiriert ist; auf dieser Seite ist sie abgebildet.
Ich komme mir oft so vor wie Charlie Brown im letzten Bild - wie jemand, dessen Gedanken überall sind, nur nicht »in den Wolken«; ein Mensch mit so viel Bodenhaftung, dass es manchmal schon peinlich ist. Ich habe den Eindruck, einige meiner Leser denken, ich sei mit einem Geist begabt, den eine enorme Aura höchster Abstraktion umgibt, an der er unermüdlich arbeitet, aber das ist ein völlig falsches Bild. Ich bin genau das Gegenteil, und ich hoffe, dass das durch die Lektüre dieses Buches offensichtlich wird.
Ich habe nicht die leiseste Ahnung, warum ich mich an den melancholischen Satz, den Charlie Brown hier äußert, falsch erinnert habe, aber die Variante » Pferdchen und Hündchen « ist auf jeden Fall schon seit langem ein fester Bestandteil meines Wortschatzes, also - wie es auch immer ankommt, jedenfalls ist das die Wendung, mit der ich meine Art zu unterrichten bezeichne, meine Art zu sprechen und meine Art zu schreiben.
Es lag zum Teil an dem Erfolg von Gödel , Escher , Bach , dass ich das Glück hatte, einen großen Freiraum an den beiden Universitäten zu genießen, an denen ich lehrte - der Indiana University (rund fünfundzwanzig Jahre lang) und der University of Michigan (vier Jahre lang, in den 1980er-Jahren). Ihre wunderbare Großzügigkeit ermöglichte mir den Luxus, meinen bunt gestreuten Interessen nachzugehen, ohne unter dem infamen » Publish-or-Perish «- Druck zu stehen oder, vielleicht noch schlimmer, dem unablässigen Zwang, sich um Stipendien zu kümmern. Ich habe also nicht den üblichen akademischen Weg genommen, der verlangt, dass ein Aufsatz nach dem anderen in Fachzeitschriften veröffentlicht werden muss. Natürlich habe ich einige »echte« Aufsätze veröffentlicht, aber überwiegend habe ich mich darauf konzentriert, mich durch Bücher auszudrücken, und diese Bücher habe ich immer mit dem Anspruch geschrieben, so klar wie möglich zu sein.
Klarheit , Einfachheit und konkrete Begreifbarkeit sind für mich zu einer Art Religion verschmolzen - zu einem Bestand an Leitprinzipien, die ich nie aus dem Auge verliere. Glücklicherweise schätzen recht viele nachdenkliche Menschen Analogien, Metaphern und Beispiele, außerdem den weitgehenden Verzicht auf Fachjargon, und nicht zuletzt die Perspektive einer ersten Person. Wie auch immer: Für Leute, die einen solchen Darstellungsstil schätzen, ist dieses Buch - ebenso wie all meine anderen Bücher - geschrieben. Ich bin überzeugt, dass diese Gruppe nicht nur Außenstehende und Hobby-Philosophen , sondern auch viele professionelle Bewusstseins-Philosophen umfasst .
Wenn ich in diesem Buch viele Geschichten in meiner eigenen, persönlichen Perspektive erzähle, dann nicht, weil ich so von meinem eigenen Leben eingenommen wäre oder mir groß etwas vormache, wie bedeutend es doch ist, sondern einfach deshalb, weil mein Leben das Leben ist, das ich am besten kenne, und weil darin alle möglichen Beispiele vorkommen, die, wie ich annehme, für das Leben der meisten Menschen typisch sind. Ich glaube, dass den meisten Leuten abstrakte Ideen am klarsten einleuchten, wenn sie ihnen durch Geschichten vermittelt werden, und daher versuche ich, schwierige und ab - strakte Ideen im Medium meines eigenen Lebens zu transportieren. Ich wünschte mir mehr Denker, die aus der Perspektive ihrer ersten Person schreiben.
So hoffe ich zwar, mit den Ideen dieses Buches Philosophen anzusprechen, aber ich glaube nicht, dass mein Stil viel mit dem eines Philosophen zu tun hat. Mir scheint, viele Philosophen gehen davon aus, dass sie die Inhalte, an die sie glauben, wie Mathematiker tatsächlich beweisen können, und zu diesem Ziel benutzen sie häufig eine abschreckend klobige Fachsprache; außerdem versuchen sie manchmal, sämtliche nur denkbaren Gegenargumente vorwegzunehmen und zu entkräften. Ich bewundere ein solches Selbstvertrauen, bin allerdings selbst etwas weniger optimistisch und etwas fatalistischer. Ich glaube nicht, dass in der Philosophie irgend etwas beweisbar ist; ich glaube, dass man lediglich versuchen kann, seine Leser zu überzeugen, und wahrscheinlich wird man am Ende nur die Leute überzeugen, die sich zu Beginn des Weges schon in relativer Nähe zum eigenen Standpunkt befunden haben. Aus diesem meinem Fatalismus ergibt sich, dass meine Strategie, meine Inhalte plausibel zu machen, mehr auf Metapher und Analogie beruht als auf dem Versuch, sie auf Biegen und Brechen zu vermitteln. So ist dieses Buch eigentlich eine riesige Salatschüssel voller Metaphern und Analogien. Einigen wird mein Metaphern-Salat schmecken, während ihn andere zu - naja , zu metaphorisch finden werden. Vor allem aber hoffe ich, dass Sie, lieber Esser, seinen Geschmack ansprechend finden.
Einige letzte verstreute Überlegungen
Analogien nehme ich sehr ernst, so ernst, dass ich mit ziemlichem Aufwand eine große Anzahl Analogien aus meinem »Salat« in einem Registereintrag zusammengefasst habe. Es gibt im Register zwei Einträge für die Liste meiner Beispiele. Der eine lautet »Analogien, seriöse Beispiele für«; der andere »Einweg- Analogien, zufällige Beispiele für«. Der Grund für diese spaßige Unterscheidung ist, dass es einerseits viele Analogien gibt, die eine Schlüsselrolle im Transport meiner Ideen spielen, und andererseits solche, die bloß ein bisschen zusätzliche Würze abgeben sollen. Einen Punkt muss ich allerdings noch hervorheben: Letztendlich ist praktisch jeder Gedanke in diesem Buch (beziehungsweise in jedem Buch) eine Analogie, insofern jeder Gedanke impliziert, dass etwas als Variante von etwas anderem erkannt wird. 6 Jedes Mal also, wenn ich »ähnlich wie« oder »im Gegensatz zu« schreibe, gibt es eine implizite Analogie, und jedes Mal, wenn ich ein Wort oder eine Redewendung auswähle (wie zum Beispiel »Salat«, »Fundgrube«, »Unter dem Strich«), stelle ich eine Analogie zu einem Inhalt aus meiner Lebens-Fundgrube von Erfahrungen her. Unter dem Strich stellt sich jeder Gedanke in diesem Buch als möglicher Bestandteil des Register-Eintrags »Analogien« heraus. Aber ich habe davon abgesehen, mein Register so feinteilig zu gestalten.
Ursprünglich ging ich davon aus, dass dieses Buch lediglich eine konzentrierte Nacherzählung der wichtigsten Botschaft von GEB werden sollte, mit nur wenig oder gar keinen formalsprachlichen Passagen, keinem Schwelgen in Puschkin'schen Abschweifungen 7 zu so vielfältigen Themen wie Zenbuddhismus , Molekularbiologie , Rekursion , künstlicher Intelligenz und so weiter.
Mit anderen Worten: Ich war davon ausgegangen, dass ich in GEB und meinen anderen Büchern schon zur Genüge ausgeführt hatte, was ich hier (noch einmal) darlegen möchte, aber zu meiner Überraschung sah ich, als ich mit dem Schreiben begann, überall unter meinen Füßen neue Ideen hervorsprießen . Mich hat das erleichtert, und es gab mir die Zuversicht, dass mein neues Buch mehr sein konnte als bloß ein weiterer Aufguss eines früheren Buchs (beziehungsweise früherer Bücher).
Einer der Schlüssel des Erfolges von GEB war sein Wechsel zwischen Kapiteln und Dialogen, aber ich wollte mich dreißig Jahre später nicht mit diesem Muster selbst nachäffen. Der Rahmen meines Denkens hat sich geändert, und dieses Buch sollte das widerspiegeln. Als sich das Schreiben allerdings dem Ende zuneigte, wollte ich meine Ideen mit den bekannten Ideen der Bewusstseins - Philosophie vergleichen und formulierte daher Dinge wie »Skeptiker würden Folgendes einwenden . . .«. Als ich solche Wendungen einige Male hingeschrieben hatte, merkte ich, dass ich unversehens in einen Dialog zwischen mir und einem hypothetischen skeptischen Leser eingetreten war, deshalb habe ich einige Personen mit kuriosen Namen erfunden, zwischen denen dann etwas entstand, das schließlich eins der längsten Kapitel des Buches wurde. Es soll nicht zum Brüllen komisch sein, aber ich hoffe schon, dass ich meinen Lesern beim Lesen hier und da ein Lächeln entlocken kann. Jedenfalls können die Fans der Dialogform aufatmen - es gibt in diesem Buch zwei davon.
Schon immer habe ich das Zusammenspiel von Form und Inhalt geliebt, und auch dieses Buch gehört in diese Liebe mit hinein. Wie schon bei einigen meiner früheren Bücher hatte ich die Möglichkeit, den Schriftsatz der amerikanischen Erstausgabe bis ins kleinste Detail selbst zu bestimmen, und mein Bemühen um visuelle Eleganz auf jeder Seite hatte zahllose Rückwirkungen auf die Formulierung meiner Ideen. 8 Für manchen mag sich das anhören, wie wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt, aber ich glaube, dass Achtsamkeit bei der äußeren Form jeden Schreibstil verbessert. Ich hoffe, dass die Lektüre dieses Buches nicht nur eine intellektuelle Anregung, sondern auch eine erfreuliche visuelle Erfahrung sein wird.
Nützliche Jugendlichkeit
GEB wurde von jemandem verfasst , der noch ganz schön jung war (ich war siebenundzwanzig Jahre alt, als ich anfing, daran zu arbeiten, und im Jahr danach hatte ich den ersten Entwurf fertig - alles mit Füller auf liniertem Papier geschrieben), und obwohl ich auch in diesem zarten Alter schon ein gerüttelt Maß - verdient oder unverdient - an Leiden, Traurigkeit und moralischer Seelen-Suche hinter mir hatte, gibt es in dem frühen Buch an solche Seiten des Lebens nicht allzu viele Anklänge. In diesem neuen Buch dagegen, das von jemandem geschrieben wurde, der entschieden mehr Leiden, Traurigkeit und Seelen-Suche erfahren hat, werden diese bitteren Aspekte des Lebens wesentlich häufiger berührt. Ich glaube, das ist ein Teil des Älterwerdens - das Schreiben wendet sich mehr nach innen, es wird reflektierter, vielleicht weiser, vielleicht auch einfach nur melancholischer.
Schon immer hat mich der poetische Titel des berühmten Romans von André Malraux La Condition humaine sehr berührt. Ich nehme an, dass jeder von uns ein persönliches Verständnis von dem hat, was diese beziehungsreiche Wendung bedeutet, und ich würde Ich bin eine seltsame Schleife beschreiben als meinen eigenen optimalen Versuch zu bestimmen, was die » conditio humana « ist.
Eine der schönsten Werbungen für GEB stammt von dem Physiker und Schriftsteller Jeremy Bernstein, und darin wird an einer Stelle gesagt: »Es besitzt youthful vitality (jugendliche Vitalität) und herrlichen Glanz . . .« Wahre Musik in meinen Ohren! Leider wurde dieser schmeichelhafte Satz irgend wann einmal dergestalt entstellt, dass jetzt viele tausend Exemplare von GEB im Umlauf sind, auf deren rückwärtigem Umschlag Bernstein behaup tet : »Es besitzt useful vitality (nützliche Vitalität) . . .« Welch ein Niedergang, verglichen mit »jugendlicher« Vitalität! Aber vielleicht wird diesem neuen Buch wegen seines gesetzteren, nüchterneren Stils eines Tages von jemandem tatsächlich »nützliche« Vitalität attestiert. Wahrscheinlich gibt es schlimmere Urteile über Bücher.
Daher möchte ich jetzt aufhören, von meinem Buch zu reden, und lasse es stattdessen für sich selbst sprechen. Ich hoffe, Sie werden darin Botschaften entdecken, die durchdrungen sind von Bedeutung und Neuartigem, und vielleicht sogar mit nützlicher, wenn auch nicht mehr jugendlicher Vitalität. Ich hoffe, dass die Lektüre dieses Buches Sie dazu veranlasst , auf bisher unbekannten, frischgebahnten Wegen darüber nachzudenken, was es mit dem Mensch-Sein auf sich hat - in Wahrheit sogar darüber, was es mit dem schlichten Sein auf sich hat. Und ich hoffe, dass Sie sich, wenn Sie dieses Buch am Ende zuschlagen, vielleicht vorstellen können, dass auch Sie eine seltsame Schleife sind. Meine Freude darüber wäre grenzenlos.
Bloomington , Indiana
Dezember 2006 Douglas Hofstadter [...]
Mit vollen Segeln von der Kante kippen
Wahrscheinlich haben Sie schon einmal irgendwo Euklids Beweis für die Existenz von unendlich vielen Primzahlen gesehen. Wenn nicht, dann entging Ihnen bislang eine der allerbedeutendsten Säulen menschlichen Wissens, die je errichtet wurden. Das wäre eine höchst bedauerliche Lücke in Ihrer Lebenserfahrung, so gravierend, als hätten Sie nie Schokolade geschmeckt oder nie ein Musikstück gehört. Solch schreckliche Leerstellen im Wissen meiner Leser sind mir unerträglich, also legen wir los!
Wir nehmen also an, dass P , die Große Letzte Primzahl, existiert, und schauen nun einmal, wohin uns diese Annahme führt. Wenn P existiert, dann heißt das, dass es eine Endliche, Geschlossene Gesellschaft Aller Primzahlen gibt, von der P selbst das glorreiche, krönende, abschließende Mitglied ist. Gut, nun wollen wir kühn alle Primzahlen dieser Geschlossenen Gesellschaft miteinander multiplizieren und erhalten eine erfreulich riesige Zahl Q . Diese Zahl Q ist demzufolge teilbar durch 2 und auch durch 3, 5, 7, 11 und so weiter. Aufgrund ihrer Definition ist Q teilbar durch jedes Mitglied der Gesellschaft, das heißt durch jede Primzahl im gesamten Universum! Und jetzt, als krönenden Abschluss , wie bei Geburtstagspartys, wollen wir noch eine allerletzte Kerze hinzufügen, um auf Q + 1 zu kommen. Damit haben wir eine kolossale Zahl vor uns, von der wir sicher sein können, dass es keine Primzahl ist, weil P (die neben Q recht kümmerlich wirkt) die Große Letzte Primzahl ist, die größte Primzahl von allen. Alle Zahlen jenseits von P sind aufgrund unserer eingangs gemachten Annahme zusammengesetzte Zahlen. Deshalb muss Q + 1, indem es weit, weit größer ist als P und also zusammengesetzt, irgendeinen Primfaktor haben. (Bitte halten Sie das fest!)
Welcher könnte dieser Primfaktor sein? 2 kann es nicht sein, denn 2 ist ein Teiler von Q selbst, das sich lediglich einen Schritt unter Q + 1 befindet, und zwei gerade Zahlen können nicht mit einer Differenz von nur 1 nebeneinander stehen. 3 kann es auch nicht sein, denn auch 3 ist Teiler von Q , und Zahlen, die durch 3 teilbar sind, wohnen in keinem Fall Haustür an Haustür! Letztlich ist es gleichgültig, welche Primzahl p wir aus der Gesellschaft auswählen - p kann keinesfalls ein Teiler von Q + 1 sein, weil p ein Teiler des niedrigeren Nachbarn Q ist (und Vielfache von p können nicht benachbart sein - sie kommen nur bei jeder p -ten Zahl vor). Wir haben also durch Schlussfolgern herausgefunden, dass keines der Mitglieder der Endlichen, Geschlossenen Gesellschaft ein Teiler von Q + 1 ist.
Oben aber habe ich bemerkt (und Sie gebeten, das festzuhalten), dass Q + 1, insofern als es eine zusammengesetzte Zahl ist, einen Primfaktor haben muss ! Et voilà ! Wir sitzen in der Falle, wir haben uns selbst ausmanövriert. Wir haben eine verrückte Zahl konstruiert - eine Zahl, die einerseits zusammengesetzt sein (das heißt einen kleineren Primzahlenfaktor haben) muss und die andererseits keinen kleineren Primzahlenfaktor hat. Dieser Widerspruch ergibt sich aus unserer Annahme, dass es eine Endliche, Geschlossene Gesellschaft von Primzahlen gibt, die glorreich gekrönt und abgeschlossen wird durch P , und daher haben wir keine andere Wahl als zurückzugehen und diese ganze amüsante, suspekte Vision auszuwischen.
Es kann keine »Große Letzte Primzahl«, es kann keine »Endliche Geschlossene Gesellschaft aller Primzahlen« geben. Das sind Fiktionen. Die Wahrheit ist, wie wir gerade demonstriert haben, dass die Liste der Primzahlen endlos weitergeht. Niemals werden wir »von der Erdkante kippen«, egal wie weit wir uns hinausbegeben . Dessen können wir uns nun dank makellosen Schlussfolgerns sicher sein, so sicher, wie es durch endliche , computergestützte Segel-Touren durch die Zahlenmeere nie möglich gewesen wäre.
Wenn es vielleicht zufällig eine neue Erfahrung für Sie war, zu verstehen, warum es keine letzte Primzahl gibt (im Gegensatz zu dem bloßen Wissen, dass das der Fall ist), dann hoffe ich, dass Sie diese Erfahrung wie ein Schokoladen- oder Musikstück genossen haben. Und wie bei den letzteren Erfahrungen ist auch der Nachvollzug dieses Beweises eine Quelle des Glücks, zu der man zurückkehren kann, um immer wieder in sie einzutauchen und sich jedes Mal neu erfrischen zu lassen. Außerdem ist dieser Beweis eine reiche Quelle für andere Beweise - Variationen über ein Thema von Euklid 7 (obwohl wir das hier nicht vertiefen wollen). [...]
Alle Grashüpfer müssen sterben
Einige Leser fragen sich jetzt vielleicht: Was hat das alles mit »Ich« oder Bewusstsein oder Seelen zu tun? Meine Antwort würde lauten: »Was könnte mehr mit Bewusstsein oder mit Seelen zu tun haben, als sich mit der kombinierten Spiritualität von Albert Schweitzer und J. S. Bach zu verbinden?«
Gestern Nacht holte ich, um meine etwas abgestandenen Erinnerungen an Schweitzers Bachspiel aufzufrischen, alle vier alten Vinyl-Platten (die ich viele hundert Male gehört hatte, als ich Teenager und auch noch in meinen Zwanziger Jahren war), vom Regal und legte sie nacheinander auf. Ich begann mit Präludium und Fuge in A-Dur (BWV 536) und ging alle durch, auf hörte ich mit meinem Lieblingsstück, dem seligmachenden Präludium mit Fuge in G-Dur (BWV 541), und als Schluss-Stück wählte ich das schmerzliche, bittersüße Choral-Präludium »Alle Menschen müssen sterben«.
Als ich so versunken in meinem Wohnzimmer saß und konzentriert den weichen Noten dieser unergründlichen Meditationen lauschte, bemerkte ich einen einsamen Grashüpfer, der auf dem Teppich saß. Zuerst hielt ich ihn für tot (schließlich müssen auch alle Grashüpfer sterben), aber als ich mich ihm annäherte, machte er einen großen Sprung, ich nahm daher eine Glasschale vom Tisch in der Nähe, drehte sie um, um den kleinen Hüpfer zu fangen, dann schob ich vorsichtig die Plattenhülle darunter, damit der gläserne Raum einen Boden bekam. Schließlich trug ich das improvisierte Raumschiff und seinen winzigen Passagier zu meiner Eingangstür, öffnete sie und ließ den Grashüpfer auf einen Busch hinaus in die dunkle Nacht springen. Mitten in dieser Mini-Samariter-Aktion kam mir die Resonanz mit Schweitzers Geist in den Sinn - es passierte genau in dem Moment, als ich die Plattenhülle, die eine Zeichnung von Ben Shahn von Schweitzer an der Orgel zeigt, unter die Glasschale schob, wodurch der Grashüpfer auf Schweitzers Hand zu sitzen kam. Etwas an dieser zufälligen Verbindung fühlte sich außerordentlich richtig an.
Ungefähr eine Stunde später, als ich aufstand und mich streckte, sah ich eine große Ameise, die unter dem Tisch krabbelte, also machte ich - diesmal für sie - wieder einen kleinen Transporter und begleitete meine sechsbeinige Freundin nach draußen. Allmählich kam es mir ziemlich kurios vor, dass all diese Mini-Samaritanismen sich abspielten, während ich so in Bachs tiefer Spiritualität und Schweitzers pazifistischer Einstellung einer »Ehrfurcht vor dem Leben« eingetaucht war.
Vielleicht um den Zauber zu brechen, oder vielleicht auch, um meine persönliche Grenze zu ziehen, bemerkte ich, wie ein anderer kleiner schwarzer Fleck in einer bestimmten vertrauten Zick-Zack-Linie in der Luft um eine Lampe herum kurvte , und ich ging hin, um nachzuschauen. Der kleine schwarze Fleck landete unter der Lampe auf dem Tisch, und es stand außer Zweifel, was das war: a mosquito , un moustique , una zanzara , eine Mücke. Einen Augenblick später war die Mücke Geschichte (die Details erspare ich Ihnen). An dieser Stelle meines Buches sind meine Ansichten über die Entbehrlichkeit von Mücken wahrscheinlich für die Leser zu einem vertrauten Refrain geworden, der nur noch Gähnen hervorrufen kann, und doch will ich festhalten, dass ich nicht das winzigste Gewissensbisschen beim späten Niedergang dieser kleinen Rakete auf Blutsuche empfand.
Kurz vor Mitternacht unterbrach ich meine Musik-Session , um meine alte, etwas kränkelnde Mutter in Kalifornien anzurufen; ich rufe sie jeden Abend an, um ihr ein paar Neuigkeiten aus der Familie zu erzählen und sie ein wenig aufzuheitern. Nach unserem kurzen Gespräch ging ich zu meiner Musik zurück, und als die dorische Tokkata und Fuge erklang, merkte ich, wie meine Gedanken sich einem sehr guten Freund zuwandten, der dieses Stück über die Maßen liebt, und seinem Sohn, bei dem gerade eine Besorgnis erregende Krankheit festgestellt worden war. Die Musik ging weiter, und all diese Gedanken über geliebte Menschen und die kostbare, beängstigende Zerbrechlichkeit des Lebens mischten sich zwanglos mit ihr.
Zum krönenden Abschluss hörte ich irgendwann nach Mitternacht ein Klopfen an der Hintertür (bestimmt nichts, was in unserem Haus häufig vorkommt, das versichere ich Ihnen!), und ich ging hin, um nachzuschauen, wer es war. Draußen stand ein Teenager, den ich ein- oder zweimal getroffen hatte; er war einen Monat zuvor von seinen Eltern rausgeworfen worden und schlief im Park. Er sagte, es sei ziemlich frisch diese Nacht, und fragte mich, ob er in unserem Hobbyraum schlafen könnte. Ich dachte kurz darüber nach, und weil ich wusste , dass meine Tochter ihm vertraute, sagte ich ja.
Und plötzlich erschien es mir als ein außerordentlich seltsames Zusammentreffen, dass all diese zutiefst menschlichen Dinge, diese Vorkommnisse, die alle damit zu tun hatten, dass das Innenleben anderer Wesen sich in mir widerspiegelte, genau in den Stunden stattfanden, da ich so intensiv auf die Ideen von Mitgefühl und Großherzigkeit ausgerichtet war. [...]
»Wie immer beeindruckt Hofstadters Stil durch Kreativität und humane Offenherzigkeit. ... ein faszinierender Versuch, die Dichotomie von Geist und Materie zu überwinden. Er nimmt die unmittelbare Ich-Erfahrung auseinander und erweist zugleich: gerade die begrenzte Reichweite unserer Kategorien hat das Überleben der Gattung und ihr universales Ausgreifen erlaubt.«
Eva Kirn-Frank (Stuttgarter Zeitung, 25.8.2008)
»... Wer an solchen Sätzen Spaß hat, wer sich ganz ohne Formel erklären lassen möchte, warum es keine größte Primzahl gibt und wieso Pferde eine größere Seele haben als Mücken, der wird mit der Neuauflage von Hofatsdters Lebens-Buch seine Freude haben. Es enthält, ganz unaufgeregt, eine Menge aufregende Wahrheiten über uns, das Universum und den ganzen Rest.«
Erich Sauer (ultimo, 07.07.08)
»... Hofstadter hat das Glück und das Pech, in jungen Jahren einen internationalen Bestseller verfasst zu haben: "Gödel, Escher, Bach", ein Buch, dessen Lektüre zur höheren Allgemeinbildung zählen darf ... Seither müht sich Hofstadter, diese Theorie plausibler zu machen, immer plastischer darzustellen; mit "Ich bin eine seltsame Schleife" ist es ihm jetzt am besten gelungen ... Hofstadters Selbst ... stellt sich in seinem jüngsten Werk auf beinahe jeder Seite dar, aber das geht in Ordnung, denn der Autor, als geistreich bekannt, ist weise geworden ...«
Gero von Randow (Die Zeit, 30.04.2008)
»... Ebenso wie sein gepriesener Erstling ist "Ich bin eine seltsame Schleife" ein philosophisches Werk. Und Philosophie, sagt Hofstadter, kann nichts beweisen, nur überzeugen. Deshalb präsentiert er seine Argumente in Form einer "Salatschüssel voller Metaphern und Analogien", wie er sein Buch selber charakterisiert. Das macht die Reise zum nichtvorhandenen Zentrum des Ichs zu einem mit leichter Feder geschriebenen Lesevergnügen ... gehört es mit zum Anregendsten, was zum Themenkreis Leib-Seele bzw. Bewusstsein und Gehirn seit langer Zeit gesagt wurde...«
Gerrit Stratmann (Deutschlandradio Kultur, 04.05.2008)
»... So komplex die Materie, so leichtfüßig schreibt Hofstadter, ironisch, witzig, zutiefst persönlich und mal so ins Poetische wechselnd. ... Ein aufregendes und anregendes Buch.«
Evelyn Beyer (Neue Presse, 31.05.08)