Die Zwille

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»Teo dachte an eine Waffe, die weithin trug und keine Spuren hinterließ. Armbrüste, Pfeil und Bogen, Pistolen schieden damit aus. Am besten wäre eine Zwille, wie die Jäger sie benutzten«: Jüngers Roman beschreibt eindringlich die Gefährdungen der Gymnasiasten der wilhelminischen Kaiserzeit.

Clamor Ebling ist ebenso empfindlich wie ängstlich – was verständlich ist, da er seine Eltern ebenso wie seinen Vormund verloren hat. Von seinen Mitschülern gehänselt und gequält, beginnt sein Leidensweg. Es ist eine Zeit des persönlichen wie weltgeschichtlichen Umbruchs, die Jünger entwirft, zwischen den Problemen des Heranwachsenden und der »Vorgeschichte einer geschundenen Generation«, die 1914 in den Krieg zog.

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Leseprobe

Die Zwille

Teo dachte an eine Waffe, die weithin trug und keine Spuren hinterließ. Armbrüste, Pfeil und Bogen, Pistolen schieden damit aus. Am besten wäre eine Zwille, wie die Jäger sie benutzten; sie schossen damit Krähen und Eichelhäher und verleideten Hunden. die sie nicht töten wollten, das Revier. Blei- oder Nickelkugeln dienten als Munition, zur Not auch Knicker oder ein Kieselstein. Ein Treffer war äußerst schmerzhaft, doch ungefährlich, wenn er nicht gerade ins Auge ging.
Ein solches Instrument war im Fenster des Waffenhändlers Pingscher ausgestellt. Pingscher war Hoflieferant. Teo stand oft vor seiner Auslage, um die Waffen zu bewundern, die dort zur Schau lockten. Sie waren vor einem moosgrünen Hintergrund gruppiert der eine Felswand vortäuschte. Pingscher, selbst passionierter Jäger, hatte ihn mit Trophäen geschmückt. Ein Eberkopf mit gebleckten Hauern und ein Auerhahn im Balzkleid bildeten die Prunkstücke. Davor waren die Flinten und die Büchsen mit Zielfernrohr gestellt, lagen Pistolen, Revolver, Waidmesser aus. Alles war ausgebreitet, was ein Jägerherz ergötzen konnte: Feldstecher, Jagdtaschen mit Lederfransen, mit bunten Kartuschen gespickte Leibgurte, sogar ein Muff aus Otterfell zum Handwärmen.
Es war ein Geschäft, in dem es ruhig zuging, doch das Waldherren und Gutsbesitzer von fernher aufsuchten. Ein jeder wurde von Herrn Pingscher gut beraten, gleichviel in welchen Revieren er jagte und auf welches Wild er anlegte. Sogar Williams Vater hatte hier einen Drilling gekauft. Mancher Förster sparte jahrelang für ein exquisites Gewehr. Die schossen wie Gift. Teo ging nie vorüber, ohne sich an dem Anblick zu weiden: der blaue Stahl übte eine beruhigende Wirkung auf ihn aus. Hier schlummerte der Tod.

Die Zwille lag zwischen den kostbaren Waffen als bescheidenes Zubehör. Sie konnte dem Jäger nützlich werden für heimliche Abstrafungen. Ein Streuner, der sich nachts am Holzstall oder am Bienenstand zu schaffen machte, kam nicht wieder, wenn er auf diese Weise bedacht wurde. Ein Star, der sich im Kirschbaum gütlich tat, fiel stracks zur Erde, wenn ihn die abgeschnellte Kugel traf.
Die stählerne Gabel ließ sich bequem in die Tasche stecken; an ihre beiden Zinken waren Doppelstränge von vierkantigem Gummi geknüpft. Eine lederne Schlaufe nahm die Kugel auf, die zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand zu halten war. Die Linke umspannte den Bügel: ihr Daumen stand aufrecht, über ihn wurde gepeilt. Nach einiger Übung traf man den Sperling in der Luft.
Vor allem auf das Lautlose der Wirkung kam es an. Wenn im Herbst die Bohämmer einfielen und zu Tausenden in den Wäldern über Nacht blieben, konnte man einen nach dem andern vom Zweige schießen, ohne daß der Schwarm aufwachte. In dieser Hinsicht war nur das Blasrohr ähnlich, doch weniger gefährlich, wenn man nicht die Pfeile vergiftete.
Um mit den Pennern aufzuräumen. war die Zwille das ideale Instrument. Für zehn Mark war es bei Pingscher zu haben – mißlich war nur. daß es eben daran haperte. Das Geld war also von Silverschmied einzutreiben – – – in dieser Woche noch.

Ein solches Gelüst ist weniger absurd, als es auf den ersten Blick erscheint. Wir begegnen ihm alltäglich. und zwar in der Sache wie in der Person. Man kann nicht die Zeitung aufschlagen, ohne daß man darauf stößt.
Zudem war Teo ungeduldig: was er begehrte, mußte er sofort haben. Und es mußte vom Besten sein. Dabei war er intelligent, doch seine Ungeduld stellte die Intelligenz in den Schatten, wie bei allen ungestümen Liebhabern. »Wer langsam reift, kommt grad so weit« – dies Sprichwort war für ihn nicht gemacht.
Oft sind es winzige Dinge, auf die sich die Leidenschaft richtet und in denen große Pläne sich verdichten wie im Kegel eines Brennglases. Das Halsband der Marie-Antoinette paßte in eine Rocktasche. Es sind auch winzige Dinge, die große Pläne gelingen oder scheitern lassen – die Geschichte der Attentate gibt dafür eine Fülle von Beispielen.
Der Ladendiebstahl, der Einbruch bei Juwelieren und Apothekern unterscheiden sich in der Vorgeschichte, doch treffen sie sich darin, daß etwas unbedingt besessen werden muß. Natürlich sind Sammler in dieser Hinsicht stark gefährdet, Liebhaber überhaupt. Die Gegenstände gewinnen den Glanz von Fetischen. Eine besondere Sparte bildet der Einbruch im Waffengeschäft.

Im Kabinett weihte Teo Buz und Clamor in seine Pläne ein. Buz, vorlaut wie immer, wollte gleich Rat wissen. Eine Zwille zu beschaffen, konnte nicht schwierig sein. Zwillen waren bei der Oldhorster Jugend Mode gewesen; während der Händel mit den Vechelder Hütejungen hatte fast jeder eine in der Tasche gehabt. Man schoß mit Kieseln, die saftig trafen; es hatte wegen eines ausgeschossenen Auges eine Untersuchung gegeben, die im Sande verlaufen war.
Man ging in den Wald und suchte eine handfeste Astgabel aus. Die schnitt man zurecht und kerbte die Zinken ein. Mit Bindfäden wurden der Gummizug und das Leder daran geknüpft. Das Gummi schnitt man aus alten Schläuchen oder aus den Ringen von Rexgläsern zurecht.
Teo ging gar nicht erst darauf ein. Passionierte Schützen und Angler brauchen das Allerbeste, das beinah so Gute kommt für sie nicht in Betracht. Er wollte Pingschers Luxuszwille, und keine andere. »Das wird für dich und Clamor ausreichen. Sieh gleich heut nachmittag die Hecken danach durch. Am Rand von Ungers Garten steht ein Kornelkirschenbusch.«

Klett-Cotta
1. Aufl. 1987, 265 Seiten, Gebunden
ISBN: 978-3-608-95477-7
autor_portrait
© Ulf Andersen

Ernst Jünger

Ernst Jünger, am 29. März 1895 in Heidelberg geboren. 1901–1912 Schüler in Hannover, Schwarzenberg, Braunschweig u. a. 1913 Flucht in die ...

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