Eumeswil1
Mein Name ist Manuel Venator; ich bin Nachtsteward auf der Kasbah von Eumeswil. Mein Äußeres ist unauffällig; ich kann bei Wettkämpfen auf einen dritten Preis rechnen und bin der Frauen wegen nicht in Verlegenheit. Ich bin bald dreißigjährig; mein Charakter wird als angenehm empfunden – das setzt schon mein Beruf voraus. In politischer Hinsicht gelte ich als zuverlässig, wenngleich nicht als besonders engagiert.
Soviel kurz zur Person. Meine Angaben sind aufrichtig, obwohl noch ungenau. Ich werde sie allmählich präzisieren; insofern enthalten sie den Ansatz zu einer Disposition.
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Das Ungenaue zu präzisieren, das Unbestimmte schärfer und schärfer zu bestimmen: das ist die Aufgabe jeder Entwicklung, jeder zeitlichen Anstrengung. Daher treten im Lauf der Jahre die Physiognomien und Charaktere deutlicher hervor. Das gilt auch für die Handschriften.
Der Bildhauer steht zunächst dem rohen Block, der puren Materie gegenüber, die jede Möglichkeit umschließt. Sie antwortet dem Meißel; er kann zerstören oder Wasser des Lebens, geistige Macht aus ihr befreien. Das liegt im Unbestimmten, selbst für den Meister; es hängt nicht gänzlich von seinem Willen ab.
Das Ungenaue, das Unbestimmte, auch der Erfindung, ist nicht das Unwahre. Es mag unrichtig, doch es darf nicht unaufrichtig sein. Eine Behauptung – ungenau, doch nicht unwahr – kann Satz für Satz erläutert werden, bis endlich die Sache ins Lot kommt und ins Zentrum rückt. Beginnt jedoch die Aussage mit einer Lüge, so muß sie durch immer neue Lügen unterstützt werden, bis schließlich das Gebäude zu sammenbricht. Hierher mein Verdacht, daß schon die Schöpfung mit einer Einfälschung begann. Wäre es ein simpler Fehler gewesen, so ließe sich das Paradies durch Entwicklung wiederherstellen. Aber der Alte hat den Baum des Lebens sekretiert.
Das streift mein Leiden: irreparable Unvollkommenheit, nicht nur der Schöpfung, sondern auch der eigenen Person. Es führt zur Götterfeindschaft auf der einen Seite und auf der anderen zur Selbstkritik. Vielleicht neige ich darin zur Übertreibung, jedenfalls schwächt beides die Aktion.
Doch keine Sorge: ein moraltheologischer Traktat ist nicht beabsichtigt.
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Zu präzisieren ist zunächst, daß ich zwar Venator heiße, jedoch nicht Manuel, sondern Martin; das ist, wie es bei den Christen heißt, mein Taufname. Bei uns wird er durch den Vater verliehen; er nennt den Geborenen, indem er ihn aufhebt, bei Namen und läßt ihn die Wände beschreien.
Manuel dagegen ist mein Rufname während der Zeit, in der ich hier auf der Kasbah Dienst leiste; er wurde mir durch den Condor verliehen. Der Condor ist mein Dienstherr als derzeitiger Machthaber von Eumeswil. Er residiert seit Jahren auf der Kasbah, der Hochburg, die etwa zwei Meilen jenseits der Stadt einen kahlen Hügel krönt, den man seit jeher den Pagos nennt.
Dieses Verhältnis von Stadt und Festung findet sich an vielen Orten wieder; es ist nicht nur für die Tyrannis das bequemste, sondern für jedes persönliche Regiment.
Die vom Condor gestürzten Tribunen dagegen hatten sich unauffällig in der Stadt gehalten und vom Municipio aus regiert. »Wo nur
ein Arm ist, wirkt er stärker am langen Hebel; wo Viele zu sagen haben, bedarf es der Gärung: sie durchsetzen die Bestände wie Sauerteig das Brot.« So Vigo, mein Lehrer; von ihm wird noch die Rede sein.
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Warum nun hatte der Condor gewünscht und damit befohlen, daß ich Manuel genannt werde? War ihm der iberische Anklang lieber, oder war Martin ihm nicht genehm? So hatte ich zunächst vermutet, und in der Tat gibt es eine Abneigung oder zum mindesten eine Empfindlichkeit gewissen Vornamen gegenüber, die wir nicht genug berücksichtigen. Manche behaften ein Kind für sein Leben mit einem Namen, der ihren Wunschträumen entspricht. Ein Gnom tritt ein und stellt sich als Cäsar vor. Andere wählen den Namen des Herrn, der gerade das Ruder führt, so wie es auch hier bei arm und reich schon kleine Condore gibt. Auch das kann schädigen, besonders in Zeiten ohne sichere Erbfolge.
Zu wenig, und das gilt für die meisten, wird auch beachtet, ob der Vor- mit dem Familiennamen harmoniert. »Schach von Wuthenow«: das ist anstrengend, fast eine phonetische Zumutung. Dagegen: »Emilia Galotti«, »Eugenie Grandet« – das schwebt leicht und ausgewogen in den akustischen Raum. Natürlich ist »Eugenie« gallisch und nicht germanisch zu betonen:
Öjenie, mit abgeschwächtem
Ö. Ganz ähnlich hat das Volk hier den Namen des Eumenes abgeschliffen: es wohnt in Ömswil.
Jetzt kommen wir der Sache näher: der ausgesprochenen Musikalität des Condors, der »Martin« widerspricht. Das ist verständlich, denn die Mittelkonsonanten klingen hart und schartig, sie kratzen im Ohr. Mars ist der Namenspatron.
Merkwürdig freilich ist dieses Zartgefühl bei einem Herrn, der seine Macht den Waffen verdankt. Den Widerspruch begriff ich erst nach längerer Beobachtung, obwohl er auf jeden seinen Schatten wirft. Jeder nämlich hat seine Tag- und seine Nachtseite, und mancher wird mit der Dämmerung ein anderer. Beim Condor ist dieser Unterschied in ungewöhnlicher Schärfe ausgeprägt. Im Äußeren bleibt er zwar derselbe: ein Hagestolz mittlerer Jahre in der leicht vorgebeugten Haltung des Mannes, der oft zu Pferde sitzt. Dazu ein Lächeln, das viele gewonnen hat – verbindliche Jovialität.