Sämtliche Werke - Band 12

Essays IV: Subtile Jagden
Buchdeckel „978-3-608-10912-2

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Ursprünglich sollten die »Subtilen Jagden« »Einiges über Käfer und etwas mehr« heißen – in diesem Band zeigt sich Jünger als Sammler, voll »krabbelnder Bijouterie« (Peter von Matt).

Der vorliegende Band entspricht Band 10 der gebundenen Ausgabe.

Dieser Band ist auch Teil der Gesamtausgabe:
>> Sämtliche Werke in 22 Bänden - broschierte Ausgabe

Es war Jüngers Vater, der (in Heidelberg bei Victor Meyer promoviert) seinem Sohn den ersten Sammelkasten für Insekten schenkte, und dieser nutzte sogar im Ersten Weltkrieg die Gefechtspausen, um seine Sammlung zu erweitern. Dabei ist Jünger bei seinen »Jagden«, die auch ein Erinnerungsbuch für den Vater sind, dabei stets Entomologe und Schriftsteller zugleich. Dies wird auch in den Parerga deutlich, die u. a. frühe Entwürfe und Erinnerungen an den katholischen Geistlichen und Entomologen Adolf Horions enthalten.

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Leseprobe

Carabus

Es war Dezember; das Steinhuder Meer war zugefroren, Schnee lag auf dem Land, soweit der Blick reichte. Das versprach kaum Ausbeute. Uns waren die »feinen Methoden« der Kenner noch unvertraut. Wir wußten nicht, daß es Schlupfwinkel gibt, die der scharfe Frost erst zugänglich macht. Zu ihnen zählen. um ein Beispiel zu nennen, die Schilfgürtel der großen Seen. an denen das Eis besonders lang brüchig bleibt. Wenn es zugänglich wird, kann man von dort einen Vorrat von dürrem Rohr eintragen. Zu Hause blättert man die gebräunten Stengel wie Papyri auf und wird dann durch den Anblick bunter Coccinellen und anderer Raritäten nicht minder erfreut als ein enragierter Ägyptologe durch den Hieroglyphentext.
Man tut überhaupt gut. an eigene Schwächen zu denken, wenn man von solchen Vorlieben hört. Der eine gerät über eine vom Grünspan zerfressene Münze in Entzücken, der andere über einen Urnenscherben, der dritte über einen Heuschreck aus Sansibar. Jeder nimmt eine winzige Facette am Stein der Weisen wahr. Doch allen gemeinsam ist das Licht, das aufglänzt, und die Lust, mit der es wahrgenommen wird. Der Anblick erinnert an eine groteske Gruppe von Astronomen. die wenig voneinander wissen, obwohl die Perspektive auf denselben Stern gerichtet sind.
Die Finessen des Winterfanges also waren uns noch unbekannt. Später lernte ich deren eine Menge kennen. vor allem durch die Anleitung des Lehrers Fehse aus Thale am Harz, der darin Meister war. Damals, bei unseren ersten Ausflügen, beschränkten wir uns darauf, durch den verschneiten Wald zu streifen, um alte Baumstümpfe aufzuspüren, die wir mit der Handaxt anschlugen. Sie trugen grüne Kappen aus vereistem Moos. die mit Kränzen von verdorrten Pilzen garniert waren. An andere hatten Baumschwämme sicheIförmige Konsolen angesetzt. Das Holz im Inneren war entweder zu weißem Faserstoff vergoren. oder es war rotbraun, trocken, bröckelig.
Hier hatten sich die großen Caraben eingebettet und hielten Winterschlaf - frisch aus der Puppe geschlüpfte Tiere, die noch kein Licht berührt hatte. Sie glänzten in der kargen Januarsonne, einige braun oder schwarz, die meisten metallisch, von dunklen Erz- oder Bronzetönen bis zum bestürzenden Feuerrotgold. Von manchen kannten wir schon den Namen, so von der Goldleiste, einem schwarzen Ritter, dessen Rüstung ein schmaler Amethystsaum einfaßte. Das Tier gefiel mir trotz seiner Bescheidenheit. Sein Schimmer war wie das Augenzwinkern eines großen Herrn, ein Blitz des Einverständnisses durch das Visier. Wir fingen es häufig und hatten an ihm ein erstes Beispiel der Mannigfaltigkeit, die nicht nur die Familien und Geschlechter, sondern auch die Arten auszeichnet. Linne führt es in seinem »Natursystem« von 1758 als »violaceus« auf; er muß also ein Exemplar mit violettem Rand vor Augen gehabt haben. Wir fanden auch grün-, rosa- und goldgerandete.
Ähnliche Unterschiede entdeckten wir beim Goldschmied oder Feuerstehler, der Körnerwarze, dem Garten-, dem Hain- und dem Waldläufer. Kopfzerbrechen machte auch die Farbe der Beine, die bei derselben Art vom Antimonschwarz bis zum Korallenrot eine Reihe von Übergängen durchlief. Hinzu kam, daß es bei den Kettenläufern wie bei den Kupferstichen mehr oder minder scharfe Prägungen gab. Ich bemühte mich, diese Fülle nach bestem Gewissen zu ordnen, denn von Wissen konnte noch nicht die Rede sein. Als besonders kostbar hegte ich die Tiere, die wir nur ein oder zwei Mal aus dem Holz geholt hatten, wie etwa den Goldglanzläufer, einen nordischen Zwerg innerhalb der Gattung, doch auch eins ihrer Prunkstücke.
Bereits im Februar mußte ich den Vater um einen neuen Kasten bitten, denn der erste, der zur Ausrüstung gehört hatte, war schon gefüllt. Das ist ein Kreuz, das den Sammler sein Leben lang begleitet und mit den Jahren nicht leichter wird. Ein Kasten, ein Schrank, ein Zimmer folgt dem anderen, bis endlich der Besitzer selbst in Wohnungsnot gerät. Dabei ist noch nicht einmal der nötigsten Bücher gedacht, die auf die Flure verbannt werden, bis auch dort kaum ein Durchkommen mehr ist. Die Ausschließlichkeit, mit der solche Passionen den Mann ergreifen und ausfüllen, spiegelt sich in seinem Hauswesen.
Auch Mörike, als großer Sammler von Versteinerungen und anderen Raritäten, muß diese Nöte gekannt haben, obwohl es damals den schwäbischen Pfarrhäusern an Raum und ihren Hausfrauen an liebevoller Einsicht nicht mangelte. Seine »Häusliche Szene« mit der Regieanweisung: »Schlafzimmer. Präzeptor Ziborius und seine junge Frau. Das Licht ist gelöscht.« schildert den Übelstand.
Zu den Chimären, in deren Bannkreis der Sammler gerät, gehört die Vollständigkeit. Vergebens eilt er mit Mühen und Opfern hinter ihr her; sie behält ihren Vorsprung vor ihm. Man möchte meinen, daß sich dem abhelfen ließe, indem man das Gebiet verkleinert, dem man sich zuwendet - so etwa nicht mehr griechischen Münzen nachspürt, sondern nur sizilischen. Vergebens, denn diese Zuwendung verkleinert zwar das Jagdfeld, aber sie schleift auch neue und feinere Facetten an. Mit dem wachsenden Fingerspitzengefühl treten Unterschiede hervor, die dem Auge bislang fremd waren.
Man könnte, um bei den Läufern zu bleiben, aus dem unübersehbaren Heer der Käfer nur diese Familie, Carabidae, auswählen. Aber .auch sie repräsentiert sich durch die stattliche Menge von fünfundzwanzigtausend Arten, die sich ständig durch neue Beschreibungen vermehrt. Beschränken wir uns also auf eine einzige ihrer Gattungen, das Genus Carabus. Selbst zu seiner Erfassung würde unser Leben, auch wenn wir hundert Jahr alt würden, nicht ausreichen.
Das Abenteuer, auf das wir uns einlassen, gleicht Aladins Einstieg in die Schatzhöhle. In der Vorhalle findet er mit Goldstücken gefüllte Krüge, doch während er sie betrachtet, fällt sein Blick auf den Garten mit den Bäumen, die statt der Früchte Juwelen tragen, »deren Glanz die Strahlen der Sonne im Vormittagsschein verblassen läßt«. Indem er sich am Smaragdbaum die Taschen füllt, verschlingt er mit den  Augen bereits den, der Opale trägt, und dann immer weitere bis an die Grenzen der Sicht. Doch das sind nur Vorgärten zum Festsaal, in dem die Wunderlampe hängt.
Das Märchen trifft eine Wirklichkeit, die sich in jedem Begehren wiederholt. So auch in diesem Falle, wie ich im Lauf der Jahre und Jahrzehnte erfuhr. Es war nur ein Handgeld gewesen, was uns da im Winterwald durch eine Reihe von frischgeprägten Stücken entzückt hatte. Jedes war nur ein Muster, eine Probe unschätzbarer Reichtümer. Wir wußten nicht, daß der Lederläufer, der uns als Koloß unter seiner Sippschaft erstaunte, schon in den Bergwäldern der Südsteiermark einen doppelt so schweren Verwandten namens Gigas besitzt. Nicht minder stattliche, zum Teil auch farbige, Arten schließen sich nach Südosten an - über Kärnten, den Balkan, die Krim bis nach Transkaspien und Syrien. Wir waren auf den Vorposten einer Heerschar gestoßen, die die feuchten Bergwälder der Transsylvanischen Alpen, des Parnaß, des Kaukasus, der kolchischen und kilikischen Gebirgszüge auf der Jagd nach Würmern und Schnecken durchstreift. In Anatolien, am Bulghar Dagh und auf anderen Höhen, stellten ihnen unter Assistenz von einheimischen Fängern die Bodemeyers nach, passionierte Entomophilen, deren Leidenschaft sich durch drei Generationen forterbte. Wenn man die anatolische Fauna studiert, wimmelt es dort von Arten wie bodoi, bodoana, bodemeyeri, bodemeyerorum, die ihnen zu Ehren benannt wurden. Der Frühling kommt dort mit Gewalt, aber man kann ihn verlängern, indem man ihm auf die Höhen nachfolgt und inmitten beständiger Blüte den Gipfel gewinnt. Dabei trifft man stets neue Gäste, und auf diese Weise hat besonders Bodo von Bodemeyer klein asiatische Cetoniden zu einer prächtigen Palette vereint.
Der kleine Goldglanzläufer, den wir für selten hielten, war wiederum der Fixpunkt für Projektionen in ganz anderer Richtung: nach beiden Hängen der Pyrenäen, auf denen die eigentlichen Goldcaraben ansässig sind. Auch von diesem Reichtum gewann ich nur allmählich, quasi in Raten, eine Vorstellung. Im Rückblick gleicht das der Entfaltung vielfarbiger Raketen in der Lustfeuerwerkerei.
Um die Goldcaraben in ihrer schönsten Prägung über das Moos eilen zu sehen, muß man sich also die Mühe nicht verdrießen lassen, an den Berghängen Südfrankreichs und Nordiberiens Steine zu wälzen und hinter die Baumrinden zu spähen. Da wird es an Beute nicht fehlen; selbst das kleine Andorra beherbergt eine eigene Rasse: perignitus, die »durchaus feurige«.
Weilt man nur wenige Tage an einem Ort, so wird man Fallen stellen, um zu sehen, was ein Waldstück, ein Bergrand, ein Hochmoor an Schätzen zu bieten hat. Auf diese Weise hat Carl-Ludwig BlumenthaI, Major der Bundeswehr und Revierförster honoris causa, noch vor kurzem im Piemont den Carabus Olympiae wiedergefunden, den man für ausgestorben hielt.  

Klett-Cotta
1. Auflage 2015, 362 Seiten, E-Book epub
ISBN: 978-3-608-10912-2
autor_portrait
© Ulf Andersen

Ernst Jünger

Ernst Jünger, am 29. März 1895 in Heidelberg geboren. 1901–1912 Schüler in Hannover, Schwarzenberg, Braunschweig u. a. 1913 Flucht in die ...

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