Sämtliche Werke - Band 21

Erzählende Schriften IV: Die Zwille

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Neben der »Zwille« enthält der einundzwanzigste Band »Aladins Problem« sowie »Eine gefährliche Begegnung«

Der vorliegende Band folgt Band 18 der gebundenen Ausgabe. Entnommen wurde der Text »Herbst auf Sardinien«, der den ersten Teil des Essays »Sardische Heimat« (Band 14 dieser Ausgabe) bildet, die Nachworte zu eigenen Werken sowie die Werk- und Inhaltsverzeichnisse (Band 22 dieser Ausgabe). »Eine gefährliche Begegnung« wurde durch die vollständige Fassung ergänzt, die bislang in Band 22 der gebundenen Ausgabe zu finden war.

»Teo dachte an eine Waffe, die weithin trug und keine Spuren hinterließ. Armbrüste, Pfeil und Bogen, Pistolen schieden damit aus. Am besten wäre eine Zwille, wie die Jäger sie benutzten«: Jüngers Roman beschreibt eindringlich die Gefährdungen der Gymnasiasten der wilhelminischen Kaiserzeit.

Clamor Ebling ist ebenso empfindlich wie ängstlich – was verständlich ist, da er seine Eltern ebenso wie seinen Vormund verloren hat. Von seinen Mitschülern gehänselt und gequält, beginnt sein Leidensweg. Es ist eine Zeit des persönlichen wie weltgeschichtlichen Umbruchs, die Jünger entwirft, zwischen den Problemen des Heranwachsenden und der »Vorgeschichte einer geschundenen Generation«, die 1914 in den Krieg zog.

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Leseprobe

Die Zwille

An jedem Morgen faßte ihn das Bangen an, als ob die Riemen des Tornisters ihm die Brust zuschnürten. Er mußte heftiger atmen und bekam doch keine Luft. »Japsen« nannte man das in Oldhorst. Und wenn er auf den Platz trat, packte ihn die Angst.
Immer wieder mußte er sich zwingen, das Haus zu verlassen, nachdem er die Mütze aufgesetzt hatte und die Treppe hinuntergestiegen war. Oft hatte er die Stufen gezählt. Nun drohte der Gang durch die Gärten mit seinen Schrecken, die unvermutet auftraten. Da war kein Ende abzusehen. Es war der Weg durch einen bösen Vorhof, der zum Gericht führte, mit Visionen am Rand. Sie kamen plötzlich; wenn sie ihn nur streiften, konnte er von Glück sagen. Manchmal wurde alles gefährlich: das Rauschen der Blätter. der Ruf eines Vogels, entfernte Signale der Bahnen und Fabriken – und wenn nicht gefährlich, so doch Gefahr drohend.
Er konnte dem nicht ausweichen; er wurde zu schnell in die Bilder verstrickt. Dann stand er unter ihrem Zwang. Oft hatte er sich gefragt, warum sie so unverhofft, so ohne Warnung auf ihn zukamen. Der Tod des Vaters kam ihm in den Sinn. Blutsturz, der Sack war zu schwer gewesen; als man das Kind rief, lag der bleiche Mann im blauen Kittel schon tot auf dem Kornboden. Das Gesicht war bestäubt, war weiß wie Porzellan; ein roter Faden zog sich aus dem Mundwinkel zur Brust.
Das Bild kehrte wieder: der bleiche Mann auf dem Boden, der nach altem Holz und Mehlstaub roch. Er hätte nun weinen und klagen müssen – doch er konnte nicht in den Sinn bringen, daß es der Vater war. Dort lag ein anderer in seinen Kleidern, ein Schatten kaum von dem, den er geliebt hatte. Der Vater war fortgegangen; er war allein.
Das Unheil kam plötzlich; es sprang zu wie ein Tier aus dem Hinterhalt. Ein Mensch, den man eben noch mit Augen gesehen, mit Händen berührt hatte, wurde am hellichten Tage geraubt und in Höhlen geschleppt, zu denen kein Weg führte. Dahinter blieb Dämmerung, die sich zur Mauer verdichtete. Clamor konnte sich, wie sehr er sich auch mühte, kaum noch das Gesicht des Vaters vorstellen.
Das Tier lag immer auf der Lauer – ganz dicht und in jedem Augenblick. Man mußte daher auch immer Furcht haben – in jedem Augenblick. Daß man Furcht hatte, war schon ein Hinweis auf die Gefahr. war ihre Witterung. Sie hatte Clamor seit dem Tode des Vaters nie verlassen; den Tod der Mutter hatte er nicht erlebt. Sie war im Kindbett gestorben; er hatte nur von ihr gehört.
Die Furcht bedrückte ihn ohne Unterlaß. Sie kam bald stärker und dann wieder schwächer, doch war sie immer dabei. Sie schwang in ihm wie eine Saite. die das Spiel begleitet, obwohl keine Hand sie berührt. Sie war schon früh im Rauschen des Laubes und nachts in einem Raunen, das nicht verstummen wollte – auch wenn er die Ohren zuhielt, hörte er ein Summen wie aus einem Schneckenhorn.

Das Unbestimmte hatte ihn schon früh geängstigt – vielleicht, weil die Mutter gefehlt hatte. Es war in der Stube wie ein ziehender Nebel, wenn er mit dem Vater am Tisch saß und mit ihm nachtmahlte. Der Vater kam spät aus der Mühle zurück. Er schnitt schwere Scheiben vom Brot, das der Müller eigens für sich und die Knechte buk. Das Brotmesser war größer als das, mit dem der Vater von der Wurst und vom Schinken Stücke abschnitt und sie dem Sohn und der Magd zuteilte. Alle drei schnitten dann mit noch kleineren Messern die Bissen zurecht. Wie man mit der Gabel umgeht, das hatte Clamor erst hier in der Hauptstadt gelernt. Er mußte noch jetzt spähen, wie die anderen sie handhabten.
Clamor sah gern, wie der Vater am Tisch saß und austeilte. Gut war auch, zu sehen, wie er sich am Bier labte. Ein großer Krug stand auf dem Tisch. Clamor hatte ihn aus der Wirtschaft geholt und behutsam getragen, damit die Krone aus weißem Schaum erhalten blieb. Zwischendurch goß der Vater sich einen Klaren ein, damit das Bier den Magen nicht auskühlte. Behagen breitete sich dann aus. Immer blieb aber die Angst dabei. Die Wand mit den Bildern war undeutlich. Eines zeigte den Vater als Reservisten, ein anderes die Eltern im Hochzeitsstaat. Auch der dunkle Schrank mit der Anrichte war verschwommen; nur das blanke Geschirr leuchtete.

Klett-Cotta
2. Druckaufl., 2022, 606 Seiten, Broschiert
ISBN: 978-3-608-96321-2
autor_portrait
© Ulf Andersen

Ernst Jünger

Ernst Jünger, am 29. März 1895 in Heidelberg geboren. 1901–1912 Schüler in Hannover, Schwarzenberg, Braunschweig u. a. 1913 Flucht in die ...

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