Siebzig verweht I-V

Die Tagebücher 1965-1996
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Als Höhepunkt des Tagebuchwerkes, das Ernst Jünger im Zweiten Weltkrieg mit den »Gärten und Straßen« begann, können die fünf Bände von »Siebzig verweht« gelten. 

Jünger ist wie kein anderer Schriftsteller zum Repräsentanten seines Jahrhunderts geworden, weil er die ungeheuren Möglichkeiten ebenso in ihm wahrnahm wie die dämonischen Abgründe, und weil es ihm gelang, beide Wahrnehmungen von seiner Person abzulösen und in die Objektivität einer erzählenden und einer essayistischen Darstellung zu überführen. Er ist den Herausforderungen seiner Zeit mit Herausforderung begegnet und hat damit drei Generationen von Kritikern in Atem gehalten. Fast jedes seiner Bücher ließ das alte Feld von Zustimmung und Widerspruch neu entstehen und bewies gerade damit die unvergleichliche Lebendigkeit dieses Autors. Ein großes Werk der deutschen Literatur wird hier erstmals als Gesamtausgabe veröffentlicht.


Alle Bücher von Ernst Jünger - mit den Sämtlichen Werken

Leseprobe

Siebzig verweht

Wilflingen, 30. März 1965

Das biblische Alter ist erreicht – merkwürdig genug für einen, der in der Jugend niemals das dreißigste Jahr zu erleben gehofft hatte. Noch kurz vor dem dreiundzwanzigsten Geburtstag, im März 1918, hätte ich mit dem Teufel paktiert: »Gib mir dreißig Jahre, die aber sicher, und damit Punktum!«
Das aber nicht wegen der unmittelbar bevorstehenden großen Offensive, der ich eher mit Spannung und in der Hoffnung, daß wir das Schicksal noch einmal für uns wenden würden, entgegensah. In der Jugend ist eine trübe Grundstimmung häufig, als ob der Herbst seine Schatten vorauswürfe. Die Welt ist neblig, dunkle Blöcke ragen hervor. Allmählich wird die Sicht klarer; auch Leben muß gelernt werden.
Kann ich eine Erfahrung anläßlich des Datums mitteilen? Vielleicht diese: Die großen Abschnitte der Geschichte beginnen mit einer neuen eligion und jene im Leben des Einzelnen mit einem neuen Gebet. Das ist eine Wahrheit, aber kein Rezeot. Beter und Träumer ist jeder,auch wenn er es nicht weiß. Er vergißt, was er im Schlaf getrieben und im Namenlosen vernichtet hat. Wenn es ernst wird, zerbricht auch die Form des Gebets. [...]

Wilflingen, 17. November 1970

Erster Schnee. Ich legte Sonnenblumenscheiben vors Fenster; schon delektieren sich daran die Grünfinken. Aber die Kohlmeise pickte bereits an die Scheiben, als die Bretter noch leer waren.

Wilflingen, 12. Dezember 1970

[...] Die Drogenszene. Ein Vorpostengefecht mit enormen Verlusten; hier fehlt ein Clausewitz.
Oder: Streufeuer; ein Treffer ins Zentrum genügt. Tausend Eicheln fallen im Herbststurm, aus einer wächst ein Baum.
*

Im Märchen sind die Dinge von sich aus tätig, dem Menschen gegenüber autonom. Relikte davon haben sich in den Sprichwärtern erhalten: Der Krug »geht« so lange zum Brunnen, bis er bricht.
Er ist also lebendig, nicht nur belebt, und bildet kein exogenes, sondern ein endogenes Ganzes in Barnicks System.
Auch hinsichtlich der Unbefangenheit den Dingen gegenüber gibt es eine verlorene Unschuld, eine Riß, der sie wie Traum und Erwachen trennt. Von nun an wird die Welt aus Scherben zusammengesetzt. Sie gewinnt in den Teilen, was sie als Ganzes verliert. Herodot und Thukydides.
*

Auch im Verhältnis des Lesers zu seinem Autor gibt es Unterschiede wie zwischen Sexus und Eros: hier überwältigende Aktualität, dort stille, wachsende Liebe von Jahr zu Jahr.

Wilflingen, 3. April 1971

Gesät: Spinat, Mangold, Weiße Rüben, Braun- und Rosenkohl, Zuckermais, Petersilie. In der stahlblauen Nieswurz leuchten die weißen Staubfäden.

Korfu, 30. April 1976

[...] Wir fuhren an einem Eiland vorüber, das Böcklin als Modell zur »Toteninsel« gedient haben soll. Das schien mir glaubwürdig, obwohl ich das gleiche im Golf von Neapel gehört habe. Immerhin ein Zeichen dafür, daß ein Typus getroffen worden ist.
*

Abends wieder Leuchtkäferjagd. Auch Kinder, die sich daraus ein Vergnügen machten, trugen dazu bei und brachten ihre Beute in Streichholzschachteln an.

Wilflingen, 28. Oktober 1979

Nachmittags in Saulgau, zu einer Ausstellung des Œuvres von Otto Dix, dem ich leider nur ein Mal im Leben begegnet bin.
Gut gefiel mir ein Selbstbildnis von unerbittlicher Präzision, gut auch eine Szene mit Dämonen im Stil des Isenheimer Altars. Allerdings ergibt sich das Dilemma des Vergleiches in der Konfrontation. Diesen Einwand hat Horst Janssen in seinem genialischen Werk »Die Kopie« (1977) »nach« Goya, Watteau, Hokusai und ein paar Dutzend anderen nicht erst aufkommen lassen: »Den Laden, in dem ich geklaut habe, möchte ich genannt wissen.« Ein erstaunliches Werk, Hellenismus der abendländischen Malerei – und das nebenbei.
Wie mögen unsere Maler, die den Zweiten Weltkrieg überlebten, wie Dix, Schlichter, Beckmann, Max Ernst nicht zu vergessen, der Zeit standhalten – einmal innerhalb der nationalen, dann im Vergleich zur französischen Kunst? Mancher vielleicht wie einer, dem ein Mal im Leben ein unvergeßliches Gedicht gelang. Freilich, wer malen kann, hat eine gewisse Konstanz in der Leistung; das beruht schon auf der erworbenen Technik (die den Dichter eher schädigt) oder, wie die Alten meinten, auf größerer Nähe zum Banausentum.

Wilflingen, 1. Januar 1981

Blick aus dem oberen Fenster: das Land zeigt dunkle Konturen, wie oft, wenn es auf den Schnee geregnet hat.
Vor einigen Tagen hatten wir starken Nebel, den die Sonne nicht zu durchdringen vermochte, doch lösten sich ihre Strahlen zu einem rosigen Schimmer auf. Vielleicht hat es auf unserem oder anderen Planeten diese Stimmung im Großen gegeben: Helios kündigt sich durch Morgenröte an. Er wird, noch nicht gesehen, durch Jahrhunderte geahnt.
*

Ein neues Jahr beginnt. Persönlich könnte ich mit dem vergangenen zufrieden sein, indes beschattet der Mißstand der Welt und insbesondere des eigenen, zerrissenen Landes Tag und Nacht das Gemüt. Es ist ein Nachteil der historischen Erziehung, daß die Bindung nicht gelöst werden kann. Man irrt noch, wie Hannibal nach Zama, eine Zeitlang in der Fremde umher.
Der Wert des Menschen sinkt ständig; man darf sich nicht an die großen Worte halten, die billiger denn je geworden sind, sondern muß die Realitäten sehen. Zu ihnen zählt die Geiselnahme; von Banditen werden Millionen, von Staaten Milliarden als Kopfgeld verlangt. Der materielle Wert des Menschen wird maßlos übertrieben, das Geheimnis seiner Tugend nicht mehr gesehen.
Sodann die ungeheure und kurzlebige Verblendung der Massen – in diesen Tagen wieder am großen Vorsitzenden Mao dokumentiert. Das Prachtgewand des noch vor kurzem Vergöttlichten blättert wie Rauschgold ab.
*

Wunderlich berührt mich immer noch, daß man nach einst sagenhaften Orten, etwa nach Singapur, nicht nur telefonieren, sondern sogar »durchwählen« kann. Ich führte das erste Gespräch des Jahres dorthin mit Wolfram Dufner, den wir im Februar besuchen wollen, und erfuhr, daß soeben große Falter um das Schwimmbecken flatterten. Ich hoffe auf ein Wiedersehen auch mit den Mangrovesümpfen – die Stimmung dort, der Übergang von einem Element zum anderen, ähnelt unserer Weltlage.
*

Das erste Kalenderblatt zeigt das Porträt des englischen Poeten Davison, gemalt von Louise Breslau (1856–1927). Die Namen beider Künstler fand ich nicht in meiner Handbibliothek – trotzdem wundert es mich, daß ein so bedeutendes Werk mir bislang entgangen ist.
Der Impressionismus eignet sich besonders für das Porträt – vielleicht wäre hinzuzufügen: soweit es unserer Auffassung von der Person entspricht. Es genügt allerdings nicht, den Impressionismus zwischen dem Naturalismus und dem Expressionismus anzusiedeln – etwa zwischen Leibl und Beckmann; er gibt eine Stimmung, die sich im Wandel der Zeit wiederholt.
*

Über den Jahreswechsel hinweg beschäftigt mich Gregor von Nyssa mit seiner Erklärung der Auferstehung als der Rückkehr in die vollkommene Natur. Dem entspricht die ungemein kühne Ansicht des Origines, daß die Schöpfung nur ein Niederschlag aus dem Vollkommenen sei, Beide Meinungen fordern einander geradezu heraus.
In dieser Hinsicht läßt sich auch das Kunstwerk als Niederschlag bezeichnen: der Künstler erinnert sich im Tiefsten einer Vollkommenheit, die er nie erreicht.
Was ist die Rolle der Götter dabei? Vielleicht die von Türöffnern. Doch wenn ihr Äon endet, betreten sie als Letzte den Palast. Die Gebete verhallen an der Mauer; sie wirken nicht mehr.

Ludwigsburg, 3. Januar 1981

Zur Tagung der Südwestdeutschen Entomologen, wie alljährlich um diese Zeit.
Unterwegs im Radio Nachrichten. Dabei eine der jedem Autofahrer bekannten Störungen: der Ton fällt unter Brücken und Leitungen aus, oder er wird korrumpiert. Daß wir uns in einem Geflecht von Strahlungen bewegen, von dem wir nur einen Faden oder das wir überhaupt nicht wahrnehmen, wird uns erst durch ein solches Manko bewußt.
Wir dürfen wohl auch vermuten, daß diese Differenzen erheblich auf unser Befinden einwirken, ähnlich wie der Luftdruck bei Föhn. Doch fehlt uns ein spezielles Organ für elektrische Einflüsse, wie sie uns für das Licht oder den Schall gegeben sind. Die Natur hat darauf verzichtet wie vermutlich auf andere Möglichkeiten auch – etwa die unmittelbare Wahrnehmung der Kernstrahlung.
Daß die Elektrizität in den organischen Haushalt eingegliedert werden könnte, deutet sich in Geschöpfen wie den Rochen und den Zitteraalen an. Fähigkeiten, die wir erst spät durch Apparate entwickelt haben, würden uns auf natürliche Weise zu eigen sein. Ein großer Teil der Nachrichtentechnik wäre überflüssig – und davon abgesehen, ließe sich an ein kollektives Gehirn denken, also an eine völlig andere Welt.
*

Bei den Entomologen wurde eine »Rote Liste« verteilt – ein Verzeichnis von Tieren, die unter Naturschutz gestellt worden sind. Das scheint löblich, wenn man nicht näher hinsieht, ist aber im Grunde lächerlich. Als ich in Wilfingen einzog, fand ich Massen von Insekten, die dort inzwischen ausgestorben sind. Allein die Obstbäume auf den Wiesen werden an siebzehn Mal gespritzt. Ich präparierte damals zwei oder drei Exemplare und sicherte damit den Arten wenigstens die museale Existenz.

Wilflingen, 3. Januar 1986

Die Übervölkerung war schlimmer als in Ägypten; auf Straßen und Plätzen bildeten sich Staus, die sich kaum auflösten. Vor den Läden mußte man halbe Tage lang anstehen; sie waren ausverkauft, wenn man an der Reihe war. Tagsüber kam man nicht zum Dienst und abends nicht zum Vergnügen, wenn man Pech hatte. Oft waren die Passanten wie Heringe eingeklemmt. Sie konnten die Arme nicht aufheben – außer zierlichen Taschendieben, die sich wie Aale im Netz bewegten und die Brieftaschen zogen, als ob sie Kleiderpuppen abstaubten. Sie wurden nicht einmal bestraft.
Zum Glück gabs Privilegien. Wenn man »dazugehörte«, trug man einen Mantel wie alle anderen – nur daß er mit Pelz gefüttert war. Man kannte das Paßwort: den Code, den man in das Mikrophon einer der Zellen flüsterte, die wie Bedürfniskabinette unauffällig im Gebiet verteilt waren. Man mußte sie kennen; sie waren als Hauseingänge getarnt. Auf den Code hin öffnete sich die Tür zu einem Fahrstuhl, der in den Untergrund hinabschwebte. Dort gab es Raum in Fülle, dazu laufende Bänder, die mit Sesseln bestückt waren und im Nu zum Ziel führten. Dann stieg man diskret durch eine der Zellen wieder aus, falls man nicht vorzog, unten zu bleiben, denn dort war für Bequemlichkeit in jeder Weise gesorgt; die Zeit verfloß wie im Traum. Bars, Kinos, Lesesäle, Bäder mit Bedienung, Callgirls standen zur Verfügung – alles umsonst. Ein unbegrenztes Scheckbuch wäre nur eine Vorstufe gewesen; das Codewort genügte zum Eintritt in den Untergrund. Und wenn sich einer einschliche? Das wollte ich ihm nicht anraten.

Wilflingen. 6. Januar 1986

Rauhnächte haben je nach der Landschaft verschiedene Namen: Rauch-, Raun-, Raub- und Freinächte; werden auch verschieden datiert. »Vielfach bezeichnet man die ganze Zeit der Zwölfe als Rauhnächte.« (Bächtold-Stäubli) Dem möchte ich mich meiner Erfahrung nach anschließen. Als besonders trächtig gilt die Dreikönigsnacht. Heuer war wenig zu notieren; die Nächsten zeichneten sich in den Traumgesellschaften nur vage ab.
*

In der Neujahrspost fallen Korrespondenten aus, die Jahre und Jahrzehnte lang gegrüßt haben. Für manche treten die Kinder ein; so setzen Otto und Christa Plassmann die lateinischen Augurensprüche und Sonja Maatsch die Zeichnungen der Väter fort.
Die Bilder der Abgeschiedenen verkleinern sich von Jahr zu Jahr; manche verschwinden bei wachsender Entfernung wie Sterne in der kosmischen Dämmerung. Andere werden wie Gemmen schärfer, weil das Alltägliche der Erscheinung schwindet – besonders solche, an die sich Anekdoten ansetzen.
*

An Konrad Zimmer: »Der im Kyffhäuser scheint sich nicht zu regen – entweder fühlt er sich nicht angesprochen, oder es muß ein Erdbeben kommen, bis er erwacht.«
*

Helmuth Krück bereichert mein Naturalienkabinett durch das Schwanzende einer Klapperschlange und notiert dazu: »Aus dem Land der zitternden Erde (Prairies tremblantes), dem von schwimmenden Inseln bedeckten Sumpf Okeefenokee an der Grenze zwischen Florida und Georgia. Eine diskrete Rassel (Rattle-Snake) keine Klapper! Sicher hat Hiawatha sie in seinem Medizinbeutel mitgeführt.«

Klappern und rasseln. Es liegt in der Natur der Sprache, daß sie der hörbaren Welt dichter anliegt als der sichtbaren. Daher ist sie bei der Schilderung von Farbnuancen auf Vergleiche angewiesen – türkisgrün, tabakbraun, zitronengelb. Lauten dagegen antwortet sie unmittelbar, besonders den eindringlichen, also der Brandung mehr als dem sanften Wellengang, dem Sturm mehr als dem leichten Wind. Hinweise auf Unterschiede von Schlag- und Blas- zu Saiteninstrumenten, von Ballade und Lyrik, Konsonanten und Vokalen, von Rhythmus und Melos schlechthin.
*

Daß Kindheitserinnerungen stärker und genauer sind als solche aus dem Alter, ist oft bemerkt worden. In einem Alten sind Lehrer und Kameraden der Vorschule lebendig, während ihm Einzelheiten des gestrigen Tages entfallen sind.
Wenn wir über eine Seite, deren Schrift noch feucht ist, mit dem Löscher fahren, bleiben die letzten Zeilen viel blasser als die ersten auf dem Blatt.
Damals müssen wir stärker gelebt haben. Und vielleicht noch stärker in Zeiten, von denen kein Echo kommt, zu denen keine Erinnerung reicht.
*

Wiederbegegnungen, die alles übertreffen, was uns im Leben köstlich schien.

Wilflingen, 5. Februar 1996

Ich begleite jetzt wieder Dostojewski in den »Dämonen« und lebe dann nächtlich in einer zweiten Gesellschaft. einer anderen Welt. In ihr träume ich weiter – so hörte ich den Stepan Trofimowitsch sagen: »Marmorsäulen bemalt man nicht.« Das ist gut, steht aber nicht im Roman.
Den »Raskolnikow« lernte ich als Fünfzehnjähriger kennen; mit jeder neuen Lektüre ändert sich die Gestalt. Das Kriminelle im Leser wird angeregt. Widrig ist aber, daß eine Alte, eine »Laus«, und dazu noch mit dem Beile, getötet wird. Die Berufung auf Napoleon ist absurd, doch eben die geistige Verwirrung andeutend. Der verbummelte Student brütet so lange in seiner dunklen Kammer, bis unbedingt etwas geschehen muß. Er muß, um sich Luft zu schaffen, jemand umbringen.
Doch warum kein Bankeinbruch? Einmal, weil es ihm nicht um Geld geht, und dann weil er im Grund ein Feigling ist. Nietzsche bewunderte an Dostojewski die psychologische Finesse – aus seiner Sicht gehört Raskolnikow natürlich zur Dekadenz.
Stawrogin ist der Übermensch in nuce: er stürzt nicht wie Nietzsches Seiltänzer in die Tiefe – der Fürst wählte den Strick.

Wilflingen, 3. März 1996

Die Hölle existiert nicht, wohl aber das Fegfeuer.
Die letzten Sekunden können sehr lang werden: am Rande der Ewigkeit. Auch die Ewigkeit ist nur eine Vorstellung.

Wilflingen, 15. März 1996

Beendet: Dominique Venner: »Terreur et Crimes Politiques au XXe Siède«. Das Buch wurde mir vor Jahren vom Autor übersandt. Er zitiert mich mit einem Satze, der mir entfallen ist: »Le terroriste ne frappe pas seulement sa victime, il s’inflige une blessure définitive.« Ich habe dabei wohl an Ernst von Salomon gedacht, der von Venner auch erwähnt wird, und zwar wegen seiner Verstrickung in den Rathenaumord.
*

Poincaré, ein kleiner frigider Rechtsverdreher mit geschwollenen Backen, verdankte seine politische Fortüne dem antideutschen Revanchismus, der in Frankreich nach der Niederlage von 1870 das politische Hauptproblem war. Die beiden in Trauerflor gehüllten Statuen von Metz und Straßburg auf der Place de la Concorde hielten mahnende Wacht.
*

Der Typ des Königsmörders. Oswald, der den Präsidenten Kennedy erschoß, fällt in dieselbe Sparte wie Ravaillac und Damiens. Es gibt stets ein Umfeld, dem die Tat eines Einzelnen entwächst – eine Spannung, der ein Funke entspringt.

Der Bericht über die Folterung Damiens’ vom ersten bis zum achten und letzten Coin und dann über die Einzelheiten der Hinrichtung ist grauenhaft; er erschien zu Paris 1757, noch im Jahre der Tat. Ich besitze ihn in der Ausgabe, die auch der Alte Fritz gelesen hat.

Bei solcher Lektüre muß man sich die Katastrophe vor Augen halten, die ein Regizid auslösen kann. Unser Jahrhundert bietet das eklatante Beispiel von Sarajewo. Dem Erzherzog und seiner Gattin folgte ein endloser Trauerzug. Jeder meiner Generation ist ein Mitverwundeter. Prinčip, der Attentäter, wurde zu zwanzig Jahren Gefangenschaft verurteilt; er starb in der Haft.

Wilflingen, 17. März 1996

Morgens im Garten – ein heiterer Vorfrühlingstag. Der Winterling blüht rings um die Laube und unter der Blutbuche; der Winterjasmin ist verblüht. Der Krokus steckt noch kaum die ersten Spitzen heraus. Auf dem Weiher zwei Schwäne, Bläßhühner und viele Enten, im Lebensbaum picken die Grünfinken.
Gestern abend war Schlachtfest im »Löwen« – in der Nacht unruhige Träume, unter anderen in Gesellschaft mit Florence Gould. Mir gegenüber ein Nobile in eleganter Kleidung; er gehörte nicht zum Traum, sondern stand greifbar im Raum. Vielleicht macht mich meine intensive Dostojewski-Lektüre für solche Erscheinungen anfällig.

Klett-Cotta
1. Auflage, null Seiten, Broschiert. Fünf Bände im Schmuckschuber, kartoniert
ISBN: 978-3-608-93457-1
autor_portrait
© Ulf Andersen

Ernst Jünger

Ernst Jünger, am 29. März 1895 in Heidelberg geboren. 1901–1912 Schüler in Hannover, Schwarzenberg, Braunschweig u. a. 1913 Flucht in die ...

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Mit Adnoten von Detlev Schöttker

Sämtliche Werke. Werkausgabe in 22 Bänden, komplett / Supplement-Ausgabe / Späte Arbeiten. Verstreutes. Aus dem Nachlass

Siebzig verweht V. Unveröffentlichte Reisenotizen. Eine gefährliche Begegnung. Verstreutes (Unveröffentlichtes)

Sämtliche Werke, Band 19

1. Supplement-Band. Essays IX. Fassungen III - Halblederausgabe

Sämtliche Werke, Band 20

2. Supplement-Band. Tagebücher VII. Strahlungen V: Siebzig verweht III - Halblederausgabe

Sämtliche Werke, Band 21

3. Supplement-Band: Tagebücher VIII. Strahlungen VI: Siebzig verweht IV - Halblederausgabe

Annäherungen

Drogen und Rausch

Ein abenteuerliches Herz

Ernst-Jünger-Lesebuch

Zur Geiselfrage

Schilderung der Fälle und ihrer Auswirkungen

Letzte Worte

Hrsg. von Jörg Magenau

Atlantische Fahrt

«Rio - Residenz des Weltgeistes»

In Stahlgewittern

Historisch-kritische Ausgabe

Sämtliche Werke - Band 1

Tagebücher I: Der Erste Weltkrieg

Sämtliche Werke - Band 2

Tagebücher II: Strahlungen I

Sämtliche Werke - Band 3

Tagebücher III: Strahlungen II

Sämtliche Werke - Band 4

Tagebücher IV: Strahlungen III

Sämtliche Werke - Band 5

Tagebücher V: Strahlungen IV

Sämtliche Werke - Band 6

Tagebücher VI: Strahlungen V

Sämtliche Werke - Band 7

Tagebücher VII: Strahlungen VI, Strahlungen VII

Sämtliche Werke - Band 8

Tagebücher VIII: Reisetagebücher

Sämtliche Werke - Band 9

Essays I: Betrachtungen zur Zeit

Sämtliche Werke - Band 10

Essays II: Der Arbeiter

Sämtliche Werke - Band 11

Essays III: Das Abenteuerliche Herz

Sämtliche Werke - Band 12

Essays IV: Subtile Jagden

Sämtliche Werke - Band 13

Essays V: Annäherungen

Sämtliche Werke - Band 14

Essays VI: Fassungen I

Sämtliche Werke - Band 15

Essays VII: Fassungen II

Sämtliche Werke - Band 16

Essays VIII: Fassungen III

Sämtliche Werke - Band 18

Erzählende Schriften I: Erzählungen

Sämtliche Werke - Band 19

Erzählende Schriften II: Heliopolis

Sämtliche Werke - Band 20

Erzählende Schriften III: Eumeswil

Sämtliche Werke - Band 21

Erzählende Schriften IV: Die Zwille

Sämtliche Werke - Band 22

Supplement-Band: Späte Arbeiten - Aus dem Nachlass

Krieg als inneres Erlebnis

Schriften zum Ersten Weltkrieg

Auf den Marmorklippen

Roman. Mit Materialien zu Entstehung, Hintergründen und Debatte

Gespräche im Weltstaat

Interviews und Dialoge 1929-1997

Geheime Feste

Naturbetrachtungen

Strahlungen

Die Tagebücher des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit (1939-1948) Historisch-kritische Ausgabe herausgegeben von Joana van de Löcht und Helmuth Kiesel


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