Ein gutes Leben gestalten
Zwölf »Kraftquellen« enthält dieses Buch - entwickelt für Menschen in Krankheit oder Lebenskrise. Weil nicht alles für jeden passt, sind es ganz unterschiedliche »Werkzeuge «, die uns die Autorinnen - angereichert mit Tipps und Übungen - an die Hand geben: zum Entdecken, Auswählen, Ausprobieren und Liebgewinnen unserer ganz persönlichen Ressourcen.
Nicht immer meint es das Leben gut mit uns. Für jeden gibt es Zeiten des Umbruchs, der Krankheit, vielleicht der Einsamkeit, in denen unser gewohntes »Krisenmanagement « nicht mehr greift. Für diese Situationen haben Claudia Fuchs und Rich R. Schmidt, erfahrene und lebenskluge psychologische Beraterinnen, »Kraftquellen« aufgespürt und in diesem Buch genau beschrieben.
Häufig sind es Einstellungsänderungen wie
- aktive Selbstsorge
- Gefühlsgewohnheiten aufgeben
- Optionen wahrnehmen oder
- sich aktualisieren,
die eine neue Sicht auf das eigene Leben und seine Möglichkeiten eröffnen.
Bewährt haben sich die mit vielen Tipps und Übungen angereicherten Ressourcen in der Arbeit mit Menschen in Lebenskrisen, mit schwer erkrankten Menschen und mit Langzeitarbeitslosen. Sicher ist hier die Notwendigkeit, aus guten neuen Quellen zu schöpfen, von besonderer Dringlichkeit, doch auch das ganz normale Leben benötigt manchmal einen Energiekick, der aus uns selbst kommt.
Inhaltsverzeichnis
»Ich will nur die AUFs« - The Lucy Way
Gespräche in der Lounge
Einleitung
Kraftquelle 1
Auf die innere Stimme hören
Lounge der Leben: die innere Stimme
Kraftquelle 2
Umgang mit Gefühlen: Fürchte nichts!
In der Lounge: Umgang mit der Angst
Kraftquelle 3
Alleinsein mit sich: Intimität mit sich selber pflegen
Kraftquelle 4
Lebens-Geschichten oder: Geschichten als Lebens-Mittel
Die Lounge und ihre Geschichten
Kraftquelle 5
Aktive Selbstsorge
In der Lounge: Den Mut haben, zu sich zu stehen
Kraftquelle 6
Optionen wahrnehmen: Die Bagel-Falle , win-win und wu wei
Die Lounge kann sich nicht entscheiden
Kraftquelle 7
Sich aktualisieren
In der Lounge tun sie so als ob
Kraftquelle 8
Den Blickwinkel ändern
Die Lounge wirft einen neuen Blick auf die Welt
Kraftquelle 9
Count your blessings! Start now!
Heute in der Lounge: Die Leben zählen
ihre Geschenke
Kraftquelle 10
Bleiben Sie bei sich: Gefühlsgewohnheiten aufgeben
Kurt, die Lounge und die Macht der Gewohnheit
Kraftquelle 11
Trost
Die Lounge der Leben zur Frage: Was kann trösten?
Kraftquelle 12
Leben im Jahreskreis, Leben in Verbundenheit, Leben mit den Elementen
Die Lounge macht einen Ausflug
Nachwort
Der Tanz des Schmetterlings: verliebt in den Moment
Dank der Autorinnen, Seminare und Kontakt
Ressourcen des guten Lebens: Bücher, Medien, Orte
Leseprobe
Karaftquelle 8
Den Blickwinkel ändern
Eine Klientin erzählt:
»Der Hirntumor war das Beste, was mir passieren konnte. Seit der vor zwanzig Jahren bei mir diagnostiziert wurde, hat mein Leben eine solch positive Wendung genommen: Ohne den Tumor wäre ich eine Bridge spielende, verzweifelte und einsame Hausfrau aus der oberen Mittelschicht, Ehefrau und Mutter geblieben. So hab ich mich scheiden lassen und wurde selbstständig, weil ich ganz allein zu den Operationen fahren und dafür sorgen musste, dass meine Kinder versorgt waren. Ich lernte Tai-Chi und Akupunktur, frischte mein Studium auf und wurde Ärztin mit Ausrichtung auf traditionelle chinesische Medizin, als andere noch glaubten, dass das alles Hokuspokus wäre. Heute bin ich eine der Erfahrensten auf diesem Gebiet. Ich habe mit diesen Mitteln auch gelernt, gut für mich zu sorgen, und bin jetzt, im Alter, gesund und beweglich. Der Tumor ist nicht wiedergekehrt.«
Den Blickwinkel ändern heißt, es, wenn auch nur hypothetisch, jederzeit für möglich zu halten, dass alles ganz anders ist, als wir üblicherweise darüber denken:
- Der Tumor ein Glücksfall
- Die Trennung ein Segen
- Das Scheitern die beste Chance
- Der vergessene Termin die beste Gelegenheit
- Der Zusammenbruch ein Neu-Sortieren
- Der Tod ein Anfang
Manchmal, in der akuten Situation, erscheint es fast zynisch, ärgerlich, ungerecht oder gefühllos, den Vorschlag der Perspektivänderung zu bedenken. Das ist ein gutes Zeichen, dass die Situation genau diese Perspektivänderung brauchen könnte. Je mehr es Sie aufregt, die Sache ganz anders zu sehen, desto gewinnbringender kann es sein.
Eine Klientin erzählt:
»Ich fuhr mit dem Rad, wo mir ja immer die besten Ideen kommen und ich meiner inneren Stimme am besten zuhören kann. Und plötzlich kam mir der Gedanke: Was wäre, wenn diese Trennung, die gegen deinen Willen war und unter der du so sehr leidest, das Beste wäre, was dir passieren konnte? Und ich hab die Sache weiter durchdacht: Was ist gerade alles los in meinem Leben, wie lebe ich, was finde ich gut, was macht mir Spaß, wo habe ich das Gefühl, dass gute Entwicklungen passieren ... ich habe so richtig, Juristin, die ich bin, einen Fall zusammengestellt und dafür argumentiert, dass dies nun das Beste wäre, was hätte passieren können, so als müsste ich eine Richterbank überzeugen. Es hat mich sehr amüsiert und auch erleichtert, so zu denken. Die Perspektive ist auf einmal weiter geworden, das hat mir gutgetan .«
Ein Klient erzählt:
»Als ich mit Verdacht auf Multiple Sklerose im Krankenhaus lag, war das Einzige, was mir in meiner Verzweiflung wirklich half, die Reaktion meiner Schwiegermutter. Als ich ihr die Lage geschildert hatte, die Diagnosemühle, durch die ich gedreht worden war und die sich nun immer mehr auf diese Möglichkeit, MS, einengte, sagte sie: "Das ist gut, damit kannst du leben. Ich kenne eine Staatsanwältin, die hat das seit zwanzig Jahren und ist immer noch berufstätig. Das geht." Niemand hatte so originell und respektlos reagiert. Für mich war das besser als all die Betroffenheit und das Beileid der anderen. Diese Reaktion hat mir wirklich eine Perspektive gegeben .«
Übung
Was wäre, wenn . . .
Stellen Sie sich etwas vor, das in Ihrem Leben irgendwie schiefgelaufen ist, sich nicht Ihren Wünschen entsprechend entwickelt hat, und fragen Sie sich:
»Was wäre, wenn: dies Unglück, diese Lage, dieses Versehen, das Beste wäre, was mir passieren konnte?«
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Als Chronos eines Tages nach Hause kam, hatte er die Nase voll. Er hatte es satt, Tag für Tag die Terminkalender, Filofaxe, Kalenderhefte der Menschen vollzuschreiben . Immer wieder die gleichen Texte: Arbeit von . . . bis, Treff mit xy , an B. denken, Massage, Kind zum Sport, Arztbesuch, Kino und Theater mit ..., aber pünktlich, Sport auch noch, die Verpflichtung, bei sowieso vorbeizuschauen, Pilleneinnahme um 11, Zugverbindung zum wichtigen Termin mit noch wichtiger nicht zu vergessen. Dazu die Feiertage, regional sortiert - da musste er aufpassen, er konnte nicht mal eben bei den Katholiken Pessah eintragen oder gar Weihnachten vergessen in einem Land, in dem der Großteil der Bevölkerung gar nicht mehr an die Botschaft glaubte. Er musste aber auch Geburtstage, nationale Gedenktage, Hochzeitstage, Liefertermine, Banktermine eintragen, die Öffnungszeiten der Post nicht vergessend, wo die verwaisten Päckchen lagen, die nicht ausgeliefert werden konnten; Ladenschlusszeiten musste er genauso bedenken wie Jahrestage, Schulferien ... Kurz gesagt, er kam ganz schön in Stress.
Er hatte es satt, war müde. Nie konnte er auch nur eine Sekunde in seinem Sessel schlafen, da musste er schon wieder hoch. Termine, Zeiten ... Wenn er schliefe, würde er womöglich alles vergessen, wo doch der Schlaf auch mal der kleine Tod genannt wird. In Morpheus Armen versinken - vergessen. Und im Tod hört die Zeit auf zu existieren. Wer tot ist, hat alle Zeit. Keinen Zeitdruck, die Ewigkeit.
Und dann passierte das Unvorstellbare. Chronos schlief nach all den Jahren unermüdlicher Tätigkeit ein. Und wachte aus seinem tiefen Schlaf gar nicht mehr auf!
Ja, was war dann? Alle Terminkalender blieben leer. Auf - wachen und keinen Termin haben. Auch keinen Zeitdruck oder Stress. Irgendwann zur Arbeit gehen, solange man Lust hat, dann gehen, schlendern , innehalten, Muße haben, sein im Moment. Wenn Uranus um die Ecke blickt, bleibt die bloße Existenz. Jetzt.
Ist der Terminkalender, der gut gefüllte, die Existenzberechtigung? Sieh her, ich habe Termine - also lebe ich? Je mehr Termine, desto mehr Sinn? Wie Perlen aneinandergereihte Zeit, ein Mantra fast. Und nun - die Kette zerissen . Die Perlen rollen in alle Richtungen fröhlich springend über den Boden der Gegenwart. Die Blätter des Terminkalenders, weiß wie Schnee, muten seltsam an wie das Relikt einer anderen, der Zeit. Einige fanden das komisch und fingen an, sich selber Termine in den Kalender zu schreiben. Der Wichtigkeit halber. Perlen der Zeit. Wie eine Gebetskette gleitet sie durch die Hände.
Was bleibt, wenn Chronos weiterschläft?
Der Perspektivenwechsel schafft eine Dezentrierung , weg von den üblichen Sichtweisen, die so genau vorzuschreiben scheinen, wie ein Ereignis gewertet werden muss. Der Perspektivenwechsel zeigt die Bedingtheit jeder Perspektive, indem er eine radikal andere vorschlägt. So kann deutlich werden, in welch hohem Maß die Folgen von Lebensereignissen davon abhängen, wie wir sie einschätzen. Fast nichts, so scheint es, ist eindeutig als gut oder schlecht, so oder so zu bewerten.
Dazu kommt der Zeitfaktor: das beklagenswerte Ereignis, unter dem wir gelitten haben, zeigt nach Jahren eine ganz andere Wirkung: Es hat uns Lebensmöglichkeiten eröffnet, die wir sonst nicht gehabt hätten. Die Lebenslaufforschung zeigt, dass selbst Menschen, die von einem, im landläufigen Sinne, tragischen und weitreichenden Ereignis wie einer plötzlichen schweren und chronischen Erkrankung betroffen sind, nach einiger und erstaunlich kurzer Zeit einen Punkt erreichen, an dem ihre allgemeine Lebenszufriedenheit diejenige vor dem Ereignis übersteigt. Entscheidend ist hier die menschliche Fähigkeit, auszuwählen, zu optimieren und zu kompensieren. Indem wir unser Leben umstrukturieren und an veränderte Verhältnisse anpassen, können wir aus Verlusten Gewinne machen. Dies zeigt auch die Alternsforschung, die untersucht, wie Menschen mit den unvermeidlichen Verlusten umgehen, die das Altern mit sich bringt. Wer bereit ist, Ereignisse und Verhältnisse umzudeuten, also etwa aus der gestiegenen Abhängigkeit von anderen eine gestiegene Freiheit der eigenen Zeitverwendung abzuleiten, fühlt sich glücklicher, als wer an einer Einschätzung (»Abhängigkeit ist schlecht«) festhält, die er sich vor zwanzig oder vierzig oder noch mehr Jahren erworben hat. [...]