Psychoanalytische Therapie ist mehr als Austausch von Worten und Gedanken. Basal, unmittelbar wirksam und nachhaltig sind »nicht-sprachliche« Mitteilungen.
Entgegen der These Freuds, es ginge zwischen Analytiker und Analysand »nichts anderes vor, als daß sie miteinander reden«, herrscht heute Konsens darüber, daß die psychoanalytische Therapie mehr ist als eine bloße »Redekur«. Als anerkanntes Wirkprinzip gilt neben der Deutung auch die Beziehung. Günter Heisterkamp entfaltet in diesem Buch theoretisch und an zahlreichen Praxisbeispielen den vielleicht wichtigsten Wirkfaktor, der bisher kaum Beachtung gefunden hat: Die nicht-sprachliche Interaktion zwischen Therapeut und Patient, die sowohl die Kommunikationsformen von Mimik, Gestik und Stimmklang umfaßt als auch atmosphärische Aspekte in der psychotherapeutischen Situation.
Fragt man Patienten danach, was ihnen in ihrer Therapie am meisten geholfen habe, so ist nicht selten zu hören: an einzelne Deutungen könnten sie sich nicht erinnern, wohl aber an den Stimmklang des Therapeuten in einer bedeutenden Situation, an den ermunternden Händedruck, an den zuversichtlichen Blick beim Abschied. Diese »nicht-sprachlichen« Wirkfaktoren zu beschreiben gleicht der Quadratur des Kreises, gleichwohl glückt dieser Versuch - nicht zuletzt dank der vielen aussagekräftigen Fallbeispiele.
Als einer der bekanntesten »Körpertherapeuten« verfügt der Autor über eine außergewöhnliche Sensibilität hinsichtlich der nicht-sprachlichen Beziehungsaspekte zwischen Patient und Therapeut und ist geradezu dazu prädestiniert, die operative, d.h. die unmittelbar wirksame Fundierung einer zeitgemäßen Psychoanalyse zu formulieren.
Leseprobe
Inhalt
1. Hinführung
1.1 Psychoanalyse ist mehr und etwas anderes als ein Austausch von Worten
1.2 Die operative Dimension psychoanalytischer Konzepte
1.3 Enactments als Formen wechselseitiger Be-Handlung
1.4 Agieren als Drehpunkt der Behandlung
2. Präsentisches Verstehen
2.1 Mittelbares und unmittelbares Verstehen
2.2 Eine weiterführende Erfahrung
2.3 Merkmale impliziter Wandlungserfahrungen
2.4 Hinderliche und förderliche Enactments
3. Behandlungsmethodische Implikationen von Enactments
3.1 Verstrickungen als Begegnungssuche
3.2 Schöpferische Enactments
3.3 Praxeologische Leitlinien
3.4 Beispiele impliziter operativer Behandlung
4. Unmittelbare Wirkfaktoren der psychotherapeutischen Situation
4.1 Der Rahmen als Modellsituation
4.2 Die Frequenz und ihre Modifikationen
4.3 Das Ringen um die Termine
4.4 Das Spiel mit dem Setting
5. Zur leiblichen Dimension des psychotherapeutischen Dialogs
5.1 Zur Geschichte des Leib-Seele-Problems
5.2 Der Körper in der analytischen Psychotherapie
5.3 Praxeologische Leerstellen
5.4 Annäherungen
6. Leibliches Erleben und basales Verstehen
6.1 Ein historischer Purzelbaum
6.2 Jenseits der Deutung: Gewahrwerden
6.3 Behandlungsbeispiele
6.4 Behandlungsmethodische Leitlinien
7. Der Umgang mit passageren Überschreitungen des Settings durch den Patienten
7.1 Blickwinkel
7.2 Beschreibung der Phänomene
7.3 Der defensive Umgang mit »Übertretungen«
7.4 Der gewährende Umgang mit »Übertretungen«
8. Die atmosphärische Wirklichkeit
8.1 Qualitäten der therapeutischen Situation
8.2 Zum Klima der Praxis
8.3 Erfahrungsbeispiele
8.4 »Der Schatten des Objekts«
9. Verwandlungen des Analytikers
9.1 Eine nicht angenommene historische Entdeckung
9.2 Gegenübertragungsträume, Fehlleistungen, Enactments
9.3 Konkrete Verwandlungsbeispiele
9.4 Zur Freude an und in der psychotherapeutischen Arbeit
Literatur
»Heisterkamp ist mit seinem Buch ein großer Wurf geglückt. Er schöpft
aus seiner eigenen langjährigen therapeutischen Erfahrung, aus seiner
breiten Supervisionstätigkeit und nicht zuletzt aus dem freimütigen
Umgang mit Erlebnissen in seinen eigenen Analysen.«
Tilmann Moser
»In
diesem Buch wird nachdrücklich dafür plädiert, der Unmittelbarkeit
in psychoanalytischen Behandlungen mehr Raum zu geben. Der Verfasser
sieht sie innerhalb des "unmittelbaren Wirkungsgeschehens zwischen
Patient und Therapeut" durch eine zu starke Betonung der
nachträglichen Deutung des Geschehens beeinträchtigt, die das direkte
Erlebnis zu sehr einschränkte. ... Beim Lesen dieses Buches hatte
ich den Wunsch, daß die darin enthaltenen Vorschläge ernst genommen
und diskutiert würden. Gerade im Bereich der schweren Störungen (aber
nicht nur dort) hätten die hier beschriebenen Behandlungsformen
sowie die therapeutische Haltung des Verfassers in der Vergangenheit
manches unnötige Leid verhindern können.«
Hans Müller-Braunschweig (Psyche, 3/2004)